Das neue Gesetz zum Schutz für Prostituierte ist in Kraft. In Leonberg hat das unerwartete Auswirkungen: alle fünf Bordelle müssen schließen.
Böblingen - Das neue Bundesgesetz zur Prostitution soll in erster Linie die Frauen schützen. Zumindest in Leonberg (Kreis Böblingen) hat es allerdings einen unerwarteten Nebeneffekt. In den fünf Bordellen der Stadt herrscht buchstäblich tote Hose. Sie müssen allesamt schließen, was einige auf ihren Homepages verkünden und sich ganz offiziell bei den „langjährige treuen“ Kunden bedanken. Eine Betreiberin bezeichnet ihre Kundschaft gar als Familie und bittet selbige um Tipps für neue Räume.
Hauptzweck des neuen Rechts ist, die überwiegend aus dem Ausland stammenden Prostituierten mit deutschen Behörden in Kontakt zu bringen. Sie müssen sich vor dem Arbeitsantritt in einer Stadt zu Beratungsbesuchen bei den Gesundheitsämtern anmelden. Dort werden die Frauen über gesundheitliche Gefahren, Verhütung und die Gesetzeslage aufgeklärt.
Verstoß kann bis zu 50.000 Euro Strafe kosten
Auf einen wichtigen Aspekt des neuen Rechts müssen Bordellbetreiber die Freier per Aushang hinweisen. Sie sind verpflichtet, Kondome zu benutzen. Ein Verstoß kann bis zu 50.000 Euro Strafe kosten. Neben dem Schutz vor Geschlechtskrankheiten soll das neue Recht helfen, Fälle von Menschenhandel aufzudecken. In der Branche ist es allerdings hoch umstritten. Weil die Frauen registriert werden und die entsprechenden Papiere bei sich tragen müssen, haben Prostituiertenverbände sogar eine Verfassungsklage eingereicht.
Jene fünf Leonberger Bordelle scheitern an Randaspekten des Gesetzes. Es enthält auch einige baurechtliche Vorschriften. Die Betriebe müssen mit Notrufanlagen ausgestattet, Zimmertüren müssen jederzeit von innen zu öffnen sein. Auch die hygienischen Vorschriften wurden verschärft, insbesondere für die sanitären Anlagen. Außerdem dürfen die Frauen nicht in denselben Betten übernachten, in denen sie Freier empfangen. Diese Vorgaben sind in den Leonberger Häusern unerfüllbar.
Gesundheitsamt überrascht durch Interesse
Die Bordelle in Böblingen und Sindelfingen sind von diesen Änderungen nicht betroffen. „Wir hatten Vorprüfungen“, sagt der Böblinger Pressesprecher Wolfgang Pfeiffer. „Die beiden Betriebe in Böblingen entsprechen den Vorgaben.“ Die Stadt Sindelfingen vertraut laut ihrer Sprecherin Nadine Izquierdo auf die Gesetzestreue der Betreiber. Die Vorgaben würden nicht kontrolliert, sondern entsprechende Anträge auf Umbauten abgewartet.
Im Gesundheitsamt überrascht das Interesse an den Beratungsgesprächen. „Die Betroffenen melden sich“, sagt Dusan Minic, der Sprecher des Landratsamts. 77 Beratungsgespräche sind seit Herbst geführt worden. Teilweise hätten die Frauen sie selbst vereinbart, teilweise seien sie von Bordellbetreibern angemeldet worden. Inzwischen sind die Termine bis in den März hinein ausgebucht. Für die neue Aufgabe hat das Landratsamt zwei Halbtagskräfte eingestellt. Deren Hauptproblem ist nicht der Arbeitsaufwand, sondern die Sprache. Zu nahezu allen Gesprächen müssen Dolmetscher hinzugerufen werden
Das Haus in der Leonberger Innenstadt ist nicht sonderlich auffällig. Am Rande eines Wohngebietes und einer Handelszone gelegen, kommen hier jeden Tag mehrere Hundert Menschen vorbei. Doch innendrin gibt es Dienstleistungen, die sich von jenen der benachbarten Supermärkte und Fachgeschäfte grundlegend unterscheiden. Zumeist männliche Kunden können hier Liebesdienste erstehen. Im Internet wird das mit „Massage-Fachhandel“ umschrieben.
Doch neuerdings geht beim Klingeln niemand an die Haustür, an deren Rand einige osteuropäisch anmutende Frauennamen stehen. Auch das Telefon wird nicht abgenommen.
Dank an die treuen Kunden
Aber nicht nur in diesem Etablissement ist Ruhe eingekehrt. Auch in den anderen vier Bordellen der Stadt ist buchstäblich tote Hose angesagt. Einige verkünden das auf ihren Homepages ganz offiziell und bedanken sich bei den „langjährigen treuen“ Kunden. Eine Betreiberin bezeichnet ihre Kundschaft gar als Familie und bittet selbige um Tipps für neue Räumlichkeiten.
Denn die jetzigen entsprechen nach der Feststellung des städtischen Gewerbeamtes und der Baurechtsbehörde nicht mehr den Bestimmungen des neuen Prostituiertenschutzgesetzes, das im vergangenen Sommer in Kraft getreten ist. Demnach müssen unter anderem sämtliche Räumlichkeiten eines Bordellbetriebs von innen zu öffnen und mit Notrufsystem ausgestattet sein. Auch dürfen die dort tätigen Frauen in ihren Arbeitszimmern nicht gleichzeitig schlafen und wohnen.
Kooperative Betreiber
Für die Stadt Anlass genug, alle Einrichtungen zu schließen. „Für keines der fünf Bordelle in Leonberg kann eine Betriebserlaubnis nach dem neuen Prostituiertenschutzgesetz gegeben werden“, erklärt die Rathaus-Sprecherin Undine Thiel.
Die Mehrheit der Betreiber sei durchaus kooperativ gewesen, als die Untere Baubehörde der Stadt und die Polizei die Etablissements überprüften. Jenen, die sich weniger einsichtig zeigten, wurde eine Nutzungsuntersagung der Stadt zugestellt.
Im Gegensatz zu vielen Großstädten gibt es in Leonberg kein spezielles Rotlicht-Viertel. Die einzelnen Einrichtungen sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt, oft in Wohn- oder Mischgebieten. Aber genau das ist nach der neuen bundesweiten Gesetzeslage nicht mehr zulässig.
Die Häuser, in denen bisher die Liebesdienste angeboten wurden, unterscheiden sich in den allermeisten Fällen rein optisch kaum von Wohngebäuden. Das waren sie früher zumeist auch. Erst im Laufe der Zeit hat sich die Nutzung geändert.
Ansage an den Vermieter
Die Stadt kann sich entsprechend der neuen Gesetzeslage nicht nur an die Betreiber, sondern auch die Besitzer wenden. Häufig, so berichten Insider, haben die Betreiber der Bordelle gewechselt und die Ordnungsbehörde hatte kaum Zugriff.
Nun aber kann dem Vermieter klar gesagt werden, dass er dafür Sorge tragen muss, dass in seinem Haus kein Rotlicht-Betrieb einzieht.
Bei den Schließungen, die bereits Ende November vollzogen wurden, stehen die baurechtlichen Aspekte im Mittelpunkt. Die Etablissements fallen jetzt unter das Gaststättenrecht, demnach ist das Gewerbeamt der Stadt zuständig. Gesundheitsüberprüfungen der Prostituierten sind beim Landratsamt angesiedelt.
Es liegt nun an den Betreibern selbst, ob sie für einen anderen Betrieb die nötigen Voraussetzungen erfüllen. Neben den Sicherheitsaspekten innerhalb der Räumlichkeiten und der Trennung zwischen Arbeitsbereich und Wohnraum der Frauen ist die Lage von entscheidender Bedeutung. Ein unauffälliges Appartement in einem Wohngebiet mit Kindern und Jugendlichen wird es jedenfalls nicht mehr geben.
Latex-Varianten und mehr
Die erotischen Dienste, die bisher in Leonberg laut den Angeboten im Internet offeriert wurden, reichen von klassischem Sex bis hin zu Sado-Maso-Praktiken, „Untersuchungen“ oder Latex-Varianten.
Ein Betreiber kommentiert die Schließungen mit den Worten: „16 Jahre wurde alles geduldet, jetzt plötzlich nicht mehr.“.