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https://www.attwenger.at/wiener_zeitung.html
Sollte mal eine Ahnenreihe von Poetry-Künstlern über Ernst Jandl bis Kurt Schwitters gemacht werden, wird wohl auch Attwenger ein ruhmreicher Platz zugewiesen werden müssen. Markus Binders und Hans-Peter Falkners Mundart-Reime sind nach wie vor unvergleichlich. Und musikalisch können die reimenden Linzer Lautmaler klarerweise mithalten. "Sun", nach fünf Jahren Pause das fünfte Album, strotzt nur so vor guten Songs und Energie. Vom Protest-Lied "Kaklakariada", dessen Agitprop-Hass auf weltweit reaktionären Patriotismus Sigi Maron nicht besser hinkriegen könnte, bis zu Solokompositionen wie "Kalender" oder "Deng". Obwohl also Binder und Falkner nicht immer zu zweit agieren, ist "Sun" ein Meisterwerk. Nicht zuletzt auch wegen der Songs, die mit Fred Frith und dem Boban Markovic Orkestar eingespielt wurden. "Sie Dan" entspringt einer Improvisation mit dem von Kusturica-Filmen bekannten Orkestar über "Laara Disch", dem Folgetrack des Albums. Und "Huad", das auf einem Song des serbischen Komponisten Lajko Felix basiert, stammt aus dem Liverepertoire der Turbobläser um Boban Markovic. Das fährt! Hut ab!
Arbeitsteilung im Attwengerschen Sinne heißt auch, dass etwa Markus Binder allein ein souveränes E-Mail-Interview gewährt hat:
"Sun" klingt ja schon sehr international. Mich würde es freuen, wenn Attwenger auch auf den Popmärkten GB und den USA Relevanz bekäme. Da Rick Rubin eine großartige CD mit dem Sänger Tri Lokka, der "Hare Krishna" mantraartig wiederholt, produziert hat, dachte ich daran, dass die nächste CD von Attwenger eben von Rick Rubin produziert werden sollte. Was hält Ihr davon?
Wir würden natürlich viel davon halten, vom guten Rick produziert zu werden, sind bzw. haben aber nicht genügend: cash. Nachdem aber Mario Thaler in Weilheim, bei dem die meisten Stücke von "Sun" produziert wurden, durchaus als der Rick Rubin unserer Gegend bezeichnet werden kann, sind wir nicht so ganz schlecht aus- bzw. eingestiegen. Außerdem denke ich sowieso, dass es nötig und wichtig ist, die Produktionsmittel zusehends in die eigenen Finger zu kriegen, was auf "Sun" ja teilweise mehr oder weniger The Fall (Anm. Anspielung auf Mark E. Smith' Band) ist.
Wie seid ihr eigentlich auf Mantras gekommen. Über Sufimusik? Wie kommt Eure Musik beim Publikum in Indien und Pakistan an?
Die Mantra-Geschichte war aber das Thema auf "Song". Ist natürlich auf "Sun" auch wieder im Spiel, allerdings nicht mehr so im Vordergrund. Draufgekommen sind wir eigentlich schon immer, siehe z. B. "Hob Mi" und "He-U" auf der ersten Attwenger-CD "Most". Wir haben auf dem Sufi-Soul-Music-Festival in Lahore in Pakistan gespielt. Vor genau einem Jahr und das Publikum war freundlichst interessiert an uns.
Zu "Sun": Höre ich Attwenger genauer, fällt auf, dass es streng genommen ja gar kein Attwenger-Album ist, sondern eine Maxi von Markus Binder, eine Single von H.P. Falkner, eine Kollaborationen-Maxi mit dem Boban Markovic Orkestar und Fred Frith, ein Remix- und Field Recordings-Flexi (vom Flughafen in Islamabad!) und fünf Songs lang eine klassische Attwenger-Mini-CD. Hatte da jemand Schwierigkeiten damit?
Hatte niemand Schwierigkeiten damit. Ist nicht anders möglich gewesen, es kam alles daher, wie es daherkam, ist aber super, wenn so viele verschiedene Geschichten und Sounds in einen Zusammenhang kommen und eine ganze Geschichte ergeben, die unterschiedlich gesehen und gehört werden kann.
Trotzdem hören sich die vielschichtigen Bestandteile wie aus einem Guss an. Will sagen, "Sun" ist eine runde Sache und der beigelegte Promozettel, der die open-minded-ness von Attwenger aufschlussreich anreisst, der sinnreichste seid langem. Moderne Produktionstechniken führen eben zu so gelungenen Stücken wie "Flug". Wie sehr sind diese das Ding von H.P Falkner?
Jedes Stück hat seinen Sinn wiederum auch nur im Zusammenhang mit den anderen. Wie sehr diese das Ding von Hans sind, fragen wir ihn selber, hab ihn deshalb jetzt eben angerufen und er meint: "Yes, voll dabei".
Mit Subwoofern fahren vor allem Markus Binders Tracks gut ein. Ist das basslastige Generieren von Dancefloor-Mantras eine mögliche Richtung, die Ihr weiterverfolgen werdet? Oder stehen vermehrt Kollaborationen mit mongolischen, albanischen oder rumänischen Combos ins Haus?
Alles das. In unserem speziellen Fall ist es unumgänglich, sich davor zu hüten, zukünftige Konzepte und Richtungen anzukündigen, weil ich ja selber immer überrascht sein möchte von neuen Attwengersachen und natürlich Attwenger zu machen überhaupt nur geht, wenn es um was Neues geht, etwas, was vorher noch nicht da war. Und ob das jetzt dancefloormäßig weitergeht oder mit unseren Freunden aus der Mongolei, von denen wir die schönen Maultrommeln haben, oder mit Sly & Robbie oder mit denen, die wir noch gar nicht kennengelernt haben, das will ich jetzt ja noch gar nicht wissen, weil ich mir die neue CD ja noch gar nicht so oft angehört habe, dass ich sie nicht mehr hören kann.
Im serbisch-internationalen Kontext wirken "Huad" und "Sie Dan" besonders stark. Da macht es überhaupt nichts aus, dass in der oberösterreichischen Mundart gesungen wird. Besonders schön kommt darauf Euer nonchalantes, dadaismusähnliches Spielen mit Nonsens zur Geltung. Auf Eurem Album scheint ihr gern Metaphern zu streuen. Da kann man ganz schön viel hineininterpretieren. Trotzdem: für wen steht eigentlich der Schümmi, der da eingespannt wird und erst nach seinem Tod, viel zu spät, gefüttert wird? ("Sun").
Der Text und die Gesangslinie, wenn dieser Ausdruck hier nicht zu übertrieben klingt, hat sich spontan aus dem Zusammenspielen mit dem Boban Markovic Orkestar ergeben. Ich bin nicht der, der zuständig dafür ist, zu erklären, für wen "Der Schümmi" steht in diesem Text. Mein Job ist nämlich der, Texte zu machen, die so eine Frage aufwerfen.
"Mei Bua" stellt eine sehr treffende Ballade über die Hölle zu Hause dar. Einziger Ausweg: Ausreißen. Der Song hat eine unheimliche Grundstimmung, gemeinsam mit Fred Frith hängt ihr gleichsam schlapp in den Seilen. Passt das Attribut beklemmend auch von Eurer Seite?
Beklemmend finde ich das gar nicht. Das könnte am Hörer liegen. Finde, "Mei Bua" ist ein ziemlich gelungenes Beispiel für eine entspannte Liveimprovisation, wo immer genug Platz bleibt für jeden, seine Geschichten reinzuspielen. Ist doch wirklich halbwegs entspannt die Nummer, oda ned? Der Text, aber das sollte ein Text ja überhaupt so an sich haben können, mag schon seine gefühlsmäßigen Widerhaken haben, aber im Grunde dominiert da für mich doch eine Liebenswürdigkeit und mögen da auch Andeutungen über deren Abgründe durchklingen.
In "Kaklakariada" habt ihr ja beinahe eine gültige Allerweltsformel gefunden, mit der schlüssig erklärt wird, dass "diese gaunzn patriotn nationale idiotn" letztlich immer nur Menschenrechtsverletzungen nach sich ziehen. Gleich ob es sich um den erfolgten Rechtsruck in Österreich oder die Ereignisse nach dem 11. September handelt. Plötzlich sind Tschetschenen Terroristen. Wie aber können zwei unterschiedliche Kulturen zusammenkommen? Wenn Irans Präsident Khatami auf seinem unlängst absolvierten Österreichbesuch die Spiritualität und religiösen Traditionen von Persien betont, tut sich ein Graben zwischen säkularen und geistlichen Werten auf. Zwar wird immer auf Menschenrechte gepocht, primär geht es aber um Geschäfte. Ein Staat, der seine Fundamente auf einer Religion bzw. Ideologie baut, kann nie ganz demokratisch sein. Es ist praktisch unmöglich im Iran ein offen bekennender Atheist zu sein bzw. ein offen bekennender Buddhist in Nordkorea. Dass verordnete Staatsreligion Entwicklung verhindert, weiß man aus islamischen Ländern. Letztlich stecken wohl auch, wenngleich nicht benannt, die religiösen Fundamentalisten in den "gaunzn patriotn". Oder müssten die religiös "Klakariaden", die nicht weniger menschenverachtend sind - österreichbezogen haben z. B. in der 2. Generation lebende Türken große Schwierigkeiten mit von Eltern eingeimpften Traditionen - in einen eigenen Song einfließen?
Diese Fragen bedeuten eigentlich den Einstieg in eine umfangreiche und wichtige Diskussion, jetzt dazu aber nur so viel: Unterschiedliche "Kulturen" können beispielsweise dadurch zusammenkommen, dass eine jede von ihnen die Ressentiments gegenüber der anderen durch gegenseitiges Interesse ersetzt, was allerdings erst mal bedeuten würde, die Bretter vor dem eigenen Kopf wegzuräumen, und daran scheitern ja viele gern. Die Arroganz des Westens gegenüber anderen ist in Wahrheit ja durch nichts anderes begründet als durch die glatte und unverschämte Anmaßung: wir sind die Besten. Die Unsinnigkeit dieser Behauptung wurde mir im Lauf unserer diversen Reisen in den verschiedensten Weltgegenden ständig und deutlich vor Augen geführt.
Attwenger: "Sun" (Trikont/Hoanzl)
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