Ich habe diesen von RL dankenswerterweise
verlinkten Text mal entschlackt (bis auf die verschwurbelte Sprache). Er ist zwar aus der Sicht der Berufsverbände geschrieben, enthält aber sehr viele praktische Anhaltspunkte für die Kunden. Interessant wäre natürlich, was die Mecklenburger Ordnungshüter daraus macht...
Vorgeblicher Schutz, Vergebliche Maßnahmen: Überblick Über das ProstituiertenSchutzgesetz
(ProstSchg)
1. Einleitung ************************
Sexarbeit ist in Deutschland legal, unterliegt allerdings vielen Sondergesetzen,
die kriminalisierend wirken. So wird die Sexarbeit insbesondere durch
Sperrbezirksverordnungen in vielen Städten und Gemeinden illegalisiert.
Seit dem 1. Januar 2002 gilt in Deutschland das Prostitutionsgesetz (ProstG). Es
wurde mit dem Ziel verabschiedet, die rechtliche Stellung von Prostituierten
als Dienstleister*innen zu verbessern und es Sexarbeiter*innen zu ermöglichen,
Entgeltforderungen einzuklagen und sich gesetzlich krankenzuversichern.
Zum 1. Juli 2017 tritt mit dem sogenannten „Prostituiertenschutzgesetz“
(ProstSchG) ein neues Gesetz in Kraft, das allen sexuellen und erotischen
Dienstleister*innen vorschreibt, sich bei den jeweils zuständigen Behörden
persönlich zu registrieren. Um welche Behörden es sich im Einzelnen handeln wird,
ist im Gesetz nicht festgelegt und bleibt den jeweiligen Bundesländern überlassen.
In Frage kommen beispielsweise Polizeiabschnitte, die Meldeämter, oder die
Gewerbeämter.
Die Registrierung muss unter dem Klarnamen erfolgen. Darüber hinaus sind
zwei Fotos erforderlich, sowie die Angabe der aktuellen Meldeadresse, des
Geburtsdatums und Geburtsortes, und der Staatsangehörigkeit. Außerdem werden
Sexarbeiter*innen verpflichtet, sich einer Gesundheitsberatung zu unterziehen.
Nach bis zu fünf Werktagen wird daraufhin ein Lichtbildausweis erstellt, der bei der
Ausübung der jeweiligen Tätigkeit stets mit sich getragen und alle zwei Jahre neu
beantragt werden muss. 2 Die verpflichtende Gesundheitsberatung muss jedes Jahr
wiederholt werden. Für Sexarbeiter*innen unter 21 Jahren gelten kürzere Fristen;
für sie gilt die Anmeldebescheinigung nur für ein Jahr und die verpflichtende
Gesundheitsberatung muss alle sechs Monate erfolgen. Sollten einer Behörde
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Person sexuelle oder erotische Dienste
ohne die notwendige Anmeldung ausübt, kann sie ein Bußgeld von bis zu 1.000
Euro verhängen. Die Registrierung bzw. Gesundheitsberatung ist dann innerhalb
einer angemessenen Frist nachzuholen bzw. nachzuweisen.
Bordelle und bordellartige Betriebe unterliegen in Zukunft einer besonderen
Erlaubnispflicht. Zu letzteren gelten beispielsweise Laufhäuser, Terminwohnungen,
oder Escortagenturen, aber auch Wohnungen, in denen zwei oder mehr
Sexarbeiter*innen gelegentlich gemeinsam arbeiten. Da Betrieben darüber hinaus
hohe Auflagen auferlegt werden (z.B. getrennte Bäder, Aufenthaltsräume etc.) und
in Wohngebieten oftmals keine Erlaubnisse erteilt werden, ist zu erwarten, dass es
für Kleinstbetriebe in Wohnungen besonders schwierig werden wird, eine Erlaubnis
zu erhalten. Betreiber*innen von Bordellen sind u.a. verpflichtet, ausschließlich
registrierte Sexarbeiter*innen bei sich arbeiten zu lassen und zu gewährleisten,
dass Arbeitsräume nicht zusätzlich als Schlafzimmer genutzt werden.
Auch Prostitutionsveranstaltungen sind in Zukunft erlaubnispflichtig und vier
Wochen vor ihrer Durchführung bei der zuständigen Behörde anzuzeigen.
(Sexparties und sog. „[Rape]-Gang-Bang“-Veranstaltungen sind zukünftig verboten,
sollten sie kommerzieller Natur sein.) Dazu benötigt werden u.a. eine Kopie der
Erlaubnis zur Durchführung von Prostitutionsveranstaltungen, das der Erlaubnis
zugrunde liegende Betriebskonzept, das Einverständnis des Eigentümers der
genutzten Räume, ein Nachweis der Erfüllung der Mindestanforderungen
der genutzten Räume, und Kopien der Anmeldebescheinigungen der
Sexarbeiter*innen, die während der Veranstaltung tätig sein werden.
Das vollständige Gesetz steht auf der Webseite des Bundestags als PDF-Datei zum
Herunterladen bereit.
Es ist bemerkenswert, dass ein Gesetz, das vorgibt, den in der Sexarbeit Tätigen
Schutz zu gewährleisten, gleich mehrere ihrer Grundrechte erheblich untergräbt.
So beschränken die Anmeldepflicht und die Möglichkeiten, Anordnungen
gegenüber Sexarbeiter*innen zu erlassen, das Recht auf freie Berufswahl, und
die weitreichenden Überwachungsmöglichkeiten, die das ProstSchG den
Behörden gegenüber Sexarbeiter*innen einräumt, verletzen das Grundrecht
auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Besonders schwer wiegt die Speicherung
persönlicher Daten in Verbindung mit Informationen zum Sexualleben einer
Person, denn sie verletzt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
und die Richtlinie des Europäischen Parlaments zum „Schutz natürlicher Personen
2. Zusammenfassung der einzelnen Abschnitte des ProStSchg mit den jeweilig zu erwartenden Auswirkungen ************************
§ 1 und 2 - wen betrifft das ProstSchG?
Unter das Gesetz fällt jegliche Art von sexueller und erotischer Dienstleistung
mit anwesenden Personen gegen Entgelt. Es werden sowohl das Arbeiten im
Bordell als auch Escort-, BDSM- oder Tantraangebote, Straßensexarbeit und
erotische Massagen als Prostitution definiert. 5 Es ist dabei unerheblich, ob diese
Dienstleistung regelmäßig oder gelegentlich und haupt- oder nebenberuflich
ausgeübt wird.
Ein Prostitutionsgewerbe betreibt, wer eine Prostitutionsstätte betreibt (z.B. ein
Bordell, Laufhaus, oder Tantrastudio), Prostitutionsveranstaltungen organisiert
oder durchführt, oder eine Prostitutionsvermittlung (z.B. eine Escortagentur)
führt. Arbeiten zwei Sexarbeiter*innen gemeinsam, zum Beispiel in einer
Arbeitswohnung, gilt auch dies als ein Prostitutionsgewerbe.
§ 3 bis § 6 Anmeldepflicht für Prostituierte
Jede Person, die vorhat, in der Sexarbeit tätig zu werden, muss sich vor Aufnahme
der Tätigkeit persönlich bei der zuständigen Behörde anmelden. Im folgenden muss
diese Anmeldung alle zwei Jahre erneut vorgenommen werden, bei Personen unter
21 Jahren sogar jährlich. Dabei werden der volle im Ausweis eingetragene Name, die
Meldeadresse, das Geburtsdatum und der Geburtsort, die Staatsangehörigkeit, und
die geplanten Tätigkeitsorte registriert. Zusätzlich müssen zwei Passbilder abgegeben
werden.
Ausländische Sexarbeiter*innen müssen nachweisen, dass sie berechtigt sind, eine
selbstständige Tätigkeit auszuüben (§4). Wenn alle Nachweise erbracht worden sind
und keine Anhaltspunkte für eine Zwangslage vorliegen, erhalten Antragsteller*innen
innerhalb von fünf Werktagen eine Anmeldebescheinigung mit einem Lichtbild
und dürfen dann örtlich unbeschränkt arbeiten, soweit es auf Länderebene keine
abweichenden Regelungen gibt. Wer in einer anderen Kommune tätig werden möchte
als denen, die in der Bescheinigung aufgeführt sind, muss bei der zuständigen Behörde
erneut vorstellig werden und diese vorher anmelden. Der Lichtbildausweis ist bei der
Ausübung der Tätigkeit stets mitzuführen (§5). Es ist möglich eine Aliasbescheinigung
zu erhalten, bei welcher statt des Namens ein Alias eingetragen wird. Auch diese
Bescheinigung wird jedoch mit einem Lichtbild versehen (§ 6).
Dass bei der verpflichtenden Anmeldung persönliche Daten im Zusammenhang
mit dem Sexualleben von Personen erhoben würden, beurteilt der Deutsche
Juristinnenbund (djb) als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht im Hinblick auf das
Recht auf sexuelle und informationelle Selbstbestimmung. Da die Anmeldung
darüber hinaus verweigert werden könne, liege außerdem eine Einschränkung
des Grundrechts auf freie Berufswahl gemäß §12 des Grundgesetzes (GG) vor. Eine
Anmeldebescheinigung mit solch sensiblen Daten könne bei Verlust oder Diebstahl
von Täter*innen benutzt werden, um Sexarbeiter*innen zu erpressen. Dadurch steige
die Gefahr eines ungewollten Outings signifikant, und damit einhergehend das Risiko
der Stigmatisierung. 6 Dieser tiefe Eingriff in die Grundrechte ist unangemessen
und nicht zu rechtfertigen, da er die individuelle Sicherheit von Sexarbeiter*innen
nachhaltig beeinträchtigt, was sowohl diejenigen betrifft, die selbstbestimmt
in der Sexarbeit tätig sind, als auch besonders vulnerable Personen, denen die
Gesetzgeber*innen vorgeben, mit dem ProstSchG helfen zu wollen.
Der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) weist
außerdem darauf hin, dass bei Migrant*innen die Gefahr besteht, dass sie,
wenn sie in Deutschland als Sexarbeiter*innen erfasst werden, Repressionen in
ihren Herkunftsländern befürchten müssen, in denen Prostitution verboten ist,
wenn Ihre Tätigkeit dort aktenkundig wird, z.B. durch offiziellen Datenaustausch
der jeweiligen Behörden im Herkunfts- und Zielland oder infolge von
Datendiebstählen. Mit der Anmeldebescheinigung falle Dritten damit ein
potentielles Druckmittel, mit dem Sexarbeiter*innen erpressbar seien, buchstäblich
in die Hände, da ihnen beispielsweise mit einem Outing im Herkunftsland gedroht
werden könne.
Wie der djb erklärt, dienten als Leitbild der Regulierungen im Rahmen des
ProstSchG offensichtlich Personen, die Opfer von Menschenhandel und
kommerzieller sexueller Ausbeutung („Zwangsprostitution“) geworden seien.
Das Absprechen der Autonomie und Fähigkeit zur Selbstbestimmung der in
der Sexarbeit Tätigen ziehe sich wie ein roter Faden durch das neue Gesetz. Der
Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) erwartet durch
die damit entstehenden unverhältnismäßigen Pflichten für selbstbestimmt tätige
Sexarbeiter*innen eine Verdrängung dieser Gruppe in die gewerberechtliche
Illegalität, und eine Zunahme ihrer Vulnerabilität. 7 Belegte Erfahrungen mit
repressiven Gewerberechtsregelungen in anderen Staaten ließen erwarten, dass
sich eine Vielzahl von Sexarbeiter*innen der Anmeldung entziehen werde. Dies
betrifft zum einen Personen, die nur gelegentlich tätig sind, aber vor allem auch
Prostituierte, die auf Grund ihrer spezifischen Verletzlichkeit durch ihr soziales
Umfeld, ihre Arbeitsbedingungen oder den Arbeitsort, Drogenabhängigkeit,
fehlenden Aufenthaltsstatus, schlechte Erfahrungen mit staatlichen Institutionen
u.ä. eine behördliche Registrierung nicht riskieren wollen oder können,“ so der
Juristinnenbund. 8 Dasselbe trifft auf viele transidente Personen und Personen mit
Rassismuserfahrungen zu.
Auch der öffentliche Gesundheitssektor weist darauf hin, dass „gerade viele
Prostituierte mit Migrationshintergrund, psychischen Belastungen oder in sozial
prekären Lebenssituationen solchen Pflichten nicht nachkommen können; sie
werden damit kriminalisiert und noch vulnerabler“.
Für eine große Anzahl von Sexarbeiter*innen wird es nicht möglich sein, alle
erforderlichen Dokumente für die Anmeldung einzureichen. Insbesondere
migrantische Sexarbeiter*innen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus oder ohne
Arbeitserlaubnis werden durch die Anmeldepflicht weiter in die Illegalität
gedrängt, denn ohne diese Nachweise ist eine Anmeldung nicht möglich. So
kritisiert die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH), dass vor allem die besonders stark
stigmatisierten und vulnerablen Gruppen in riskantere verdeckte Bereiche der
Sexarbeit verdrängt würden. Dabei erhöhe sich die Gefahr jenseits erlaubter und
etablierter Orte der Prostitution Opfer von Gewalt zu werden drastisch, wobei
sich Sexarbeiter*innen ohne Arbeitserlaubnis oder Anmeldebescheinigung bei
Problemen nicht an eine polizeiliche oder soziale Behörde wenden könnten und
damit auch für Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge nicht mehr erreichbar
sein würden. 10 Ferner zeigt die Erfahrung, dass als Kunden getarnte Gewalttäter
und Kunden, die ungeschützte Sexpraktiken fordern, diese unkontrollierten und
verdeckten Arbeitsbereiche bevorzugt aufsuchen.
§7 biS §9 - Pflichtberatung
Bei der Anmeldung wird mit Sexarbeiter*innen ein verpflichtendes Informations-
und Beratungsgespräch geführt. Bei diesem Gespräch soll auch die Freiwilligkeit
der Tätigkeitsaufnahme festgestellt werden. Das Beratungsgespräch soll im
vertraulichen Rahmen stattfinden und Sexarbeiter*innen unter anderem über
ihre rechtliche Lage, gesundheitliche und soziale Beratungsangebote, Hilfen
in Notsituationen und über die Steuerpflicht informieren. Die Behörden sollen
die Informationen zur Ausübung der Sexarbeit in einer Sprache zur Verfügung
stellen, die die Sexarbeitenden verstehen. Hierbei ist im Gesetz lediglich
vorgesehen, Sprachhürden „durch die Bereitstellung von mehrsprachigen
Informationsmaterialien“ zu begegnen. Obwohl angemerkt ist, dass Dritte
im Allgemeinen „mit Zustimmung der Behörde und der anmeldepflichtigen
Person“ und „zum Zwecke der Sprachmittlung ... auch ohne Zustimmung der
anmeldepflichtigen Person“ zum Gespräch hinzugezogen werden können,
bleibt die sonstige Ausgestaltung des Informations- und Beratungsgespräch
„der behördlichen Praxis vor Ort überlassen“. (§8) Eine Bereitstellung von
Dolmetscher*innen ist im Gesetz nicht explizit erwähnt.
Liegen während des Beratungsgesprächs „tatsächliche Anhaltspunkte“ vor, die
darauf schließen lassen, dass die Sexarbeit sich für die betreffende Person als
alternativlos präsentiert und der Entschluss, der Prostitution nachzugehen, in
hohem Maße fremdbestimmt ist, so hat die zuständige Behörde unverzüglich
Maßnahmen zum Schutz der Person zu veranlassen (§9). Das kann die
Weitergabe von Informationen an andere Behörden und Stellen bedeuten; in
Abhängigkeit von der Situation können dies zum Beispiel sozial-psychiatrische
Dienste, das Jugendamt, die Polizei oder eine qualifizierte Fachberatungsstelle
oder Schutzeinrichtung sein.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Beratung und ggf. eine Offenbarung in Not-
oder Zwangssituationen ist ein Vertrauensverhältnis, wofür wiederum Freiwilligkeit
und die Sicherheit, dass keine personenbezogenen Daten erhoben und verarbeitet
werden, notwendig wäre. Wie die Deutsche AIDS-Hilfe ausführt, würden durch
diese Pflichtberatungen wirksame Beratungen und Untersuchungen durch
geeignete Einrichtungen mit einer kontraproduktiven Formalität ersetzt, was der
erklärten Zielsetzung des ProstSchG zuwider liefe. 12
Der Koordinierungskreis gegen Menschenhandel weist darauf hin, dass sich
Betroffene von Menschenhandel häufig erst nach einem sehr langen Zeitraum
offenbarten. Selbst für sensibilisierte und geschulte Behördenmitarbeiter*innen ist
es nicht möglich, innerhalb eines Beratungsgesprächs Betroffene zu identifizieren.
Zusätzlich zeige die Praxis, dass es bei Fällen von Menschenhandel schwierig
für die Betroffenen ist, das Vorliegen der Zwangssituation nachzuweisen. Eine
erfolgreiche Anmeldung könne vor Gericht negativ ausgelegt werden, da
Betroffene nicht die Möglichkeit einer Offenbarung wahrgenommen hätten. 13
Grundsätzlich wird das Finanzamt über Anmeldungen in Kenntnis gesetzt. Sieht
die Behörde Anhaltspunkte für eine Unfreiwilligkeit, kann sie ohne Einverständnis
der Betroffenen eine Weitergabe der Daten an Dritte veranlassen. Dabei ist das
Ausmaß der Datenweitergabe durch die vagen Formulierungen im Gesetzestext
des ProstSchG kaum einzuschätzen. In Hinsicht des Datenschutzes ergibt sich
daraus eine unübersichtliche, fragwürdige Situation. 1
§ 10 - Gesundheitliche Beratung
Vor der ersten Anmeldung muss eine gesundheitliche Beratung wahrgenommen
werden, deren Bescheinigung bei der Anmeldung vorgelegt und mit der
Anmeldebescheinigung, sprich dem „Hurenausweis“, bei der Ausübung der
Sexarbeit stets mitgeführt werden muss. Nach der ersten Anmeldung müssen
Sexarbeiter*innen ab 21 Jahren diese verpflichtende Gesundheitsberatung
alle zwölf Monate erneut wahrnehmen und nachweisen; Sexarbeiter*innen
unter 21 Jahren müssen die Beratung gar alle sechs Monate wahrnehmen.
Angepasst an die jeweilige Lebenssituation soll diese Beratung vor allem Fragen
der Krankheitsverhütung, der Empfängnisregelung, der Schwangerschaft
und der Risiken des Alkohol- und Drogengebrauchs behandeln. Auch soll es
Sexarbeiter*innen hier ermöglicht werden, im vertraulichen Rahmen eine
bestehende Zwangs- oder Notlage zu offenbaren.
Die Deutsche Aids-Hilfe und die Deutsche STI-Gesellschaft zur Förderung der
Sexuellen Gesundheit kritisieren, dass mit der Abschaffung des in § 19 des
Infektionsschutzgesetzes (IfSG) aus guten Gründen geschaffenen Prinzips der
Anonymität und Freiwilligkeit bei der gesundheitlichen Beratung und AIDS/
STI-Prävention nun durch das ProstSchG ausgerechnet eine der wichtigsten
Personengruppen, für die der anonyme Zugang explizit geschaffen wurde, davon
wieder ausgenommen würde. Die Präventionserfolge der vergangenen 30 Jahre
würden damit nachhaltig gefährdet, da die Beratung für Sexarbeiter*innen
nunmehr wieder als Mittel staatlicher Kontrolle und Repression erschienen und zur
Formalität verkämen. 15
Auch der öffentliche Gesundheitssektor weist auf Erfahrungen hin, dass dort,
wo niedrigschwellige, freiwillige und anonym wahrzunehmende Angebote
eingerichtet und kontrollierendes Vorgehen eindeutig und konsequent
abgeschafft wurden, ein guter Zugang auch zu sogenannten „schwer erreichbaren“
Gruppen wie Sexarbeiter*innen besteht. Die Gesundheitsämter befürchten
gravierende negative Auswirkungen auf die bisher hohe Akzeptanz und
freiwillige Nutzung ihrer Beratungs- und Untersuchungsangebote. Behörden,
die hilfesuchende Personen namentlich erfassen, würden nicht mehr als Orte
angesehen, die eine vertrauensvolle Beratung zur persönlichen Gesundheit
ermöglichen. Dies gefährde insbesondere auch die aufsuchende Arbeit von
Sozialarbeiter*innen und Mitarbeiter*innen von Gesundheitsämtern, da sie die
vertrauensvolle Kontaktaufnahme unmöglich machten, wenn Betroffene nicht
angemeldet seien. Damit entfiele vor allem für migrantische und transidentische
Sexarbeiter*innen sowie für Jugendliche, die trotz gesetzlichen Verbots sexuelle
Dienstleistungen anbieten oder von Dritten dazu genötigt werden, der oftmals
einzige Zugang zu ärztlicher Versorgung.
§ 11 - Anordnungen gegenüber Prostituierten
Sexarbeiter*innen, die nicht angemeldet sind oder keinen Nachweis über
die Absolvierung der verpflichtenden Gesundheitsberatung haben, werden
aufgefordert, dies unverzüglich nachzuholen, und können mit einem Bußgeld von
bis zu eintausend Euro sanktioniert werden.
Soweit es dem Schutz der Kund*innen von Sexarbeiter*innen, der Jugend, oder
der Anwohner*innen vor Lärmimmissionen, verhaltensbedingten oder sonstigen
Belästigungen dient, können die jeweils zuständigen Behörden jederzeit
Maßnahmen treffen und Anordnungen erteilen, die die Ausübung der Sexarbeit
betreffen. Diese Vorschrift ermöglicht es, sämtlichen Problemen, die – tatsächlich
oder eingebildet – von erlaubnisfreien Prostitutionsbetrieben ausgehen, mit
nachträglichen Anordnungen zu begegnen. So kann es beispielsweise zum Schutz
des Umfeldes erforderlich sein, Anordnungen zu treffen, um verhaltensbedingte
Belästigungen oder vom Betrieb ausgehende Störungen zu begrenzen. Als letztes
Mittel ist dann gar möglich, die Ausübung der Sexarbeit bzw. den Betrieb einer
Prostitutionsstätte ganz zu untersagen.
Der Deutsche Juristinnenbund sieht in der weit gefassten Definition möglicher
Belästigungen, die Anordnungen gegenüber Sexarbeiter*innen rechtfertigen,
eine Einschränkung des Grundrechts auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG). Vorbehalte gegenüber Sexarbeit würden hier „in Gesetzesform gegossen und zu Eingriffsbefugnissen umgewandelt, die einen Freibrief für
die Verdrängung jeglicher sichtbaren Prostitution“ darstellten. So bestehe
erfahrungsgemäß immer die Gefahr, dass sich Dritte durch die pure Existenz der
Sexarbeit belästigt fühlten. Es sei daher davon auszugehen, dass die Regelung vor
allem Straßensexarbeit betreffen werde, so der djb.
§ 12 biS § 28 - Erlubnispflicht für Prostitutionsgewerbe
Wer ein Prostitutionsgewerbe betreiben will, wozu bereits zwei gelegentlich
gemeinsam arbeitende Sexarbeiter*innen zählen, bedarf zukünftig der Erlaubnis
der jeweils zuständigen Behörden. Diese Erlaubnis kann befristet werden. Bei
der Beantragung mussen ein Betriebskonzept vorgelegt (§ 16) und diverse
Erlaubnisvoraussetzungen erfüllt werden (§ 14). Die Erlaubnis ist u.a. zu versagen, wenn
das Betriebskonzept oder die örtliche Lage dem öffentlichen Interesse widerspricht
oder die antragstellende Person nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt (§ 15),
zu deren Ermittlung (und regelmäßigen erneuten Überprüfung) ein Führungszeugnis
und eine Stellungnahme der Landespolizei notwendig sind. Darüber hinaus kann
die Erlaubnis mit Auflagen verbunden werden, die insbesondere die Betriebszeiten,
die Anzahl der im Betrieb tätigen Personen, sowie die Anzahl der für sexuelle
Dienstleistungen genutzten Räume beschränken können (§ 17).
In § 18 des ProstSchG wurden Mindestanforderungen an die zum
Prostitutionsgewerbe genutzten Anlagen formuliert. Demnach dürfen
beispielsweise Räumlichkeiten von außen nicht einsehbar sein. Zudem müssen
ein sachgerecht installiertes Notrufsystem und getrennte Sanitäranlagen für
Sexarbeiter*innen und Kund*innen sowie Aufenthalts- und Pausenräume
vorhanden sein. Darüber hinaus dürfen Sexarbeiter*innen Arbeitsräume zukünftig
nicht mehr als Schlaf- oder Wohnräume nutzen, obwohl § 18 Abs. 3 vorsieht,
dass zuständige Behörden für Prostitutionsstätten in Wohnungen in Einzelfällen
Ausnahmen zulassen könnten.
Bei Prostitutionsveranstaltungen haben Betreiber*innen vor jeder einzelnen
Veranstaltung ein Veranstaltungskonzept zu erstellen (§ 16 Abs. 3) und
die Veranstaltung bei der zuständigen Behörde vier Wochen vor Beginn
anzuzeigen. Die dazu nach § 20 erforderlichen Nachweise sind umfangreich
und beinhalten beispielsweise Kopien der Anmeldebescheinigungen der bei
der Veranstaltung voraussichtlich tätig werdenden Sexarbeiter*innen sowie
Kopien der mit ihnen geschlossenen Vereinbarungen. Betreiber*innen dürfen
nur angemeldete Sexarbeitende beschäftigen (§ 25) und haben ihre Sicherheit
und ihren Gesundheitsschutz (§ 24) zu gewährleisten. Außerdem unterliegen sie
täglichen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten. So müssen neben den
Anmeldedaten der jeweils tätigen Sexarbeiter*innen beispielsweise auch deren
Tätigkeitstage und sämtliche Zahlungen dokumentiert werden. Diese Daten sind
danach für mindestens zwei Jahre aufzubewahren (§ 28).
Wie eingangs erwähnt stuft das neue Gesetz auch Prostitutionsstätten,
in denen mehr als eine Person arbeitet, d.h. der oder die Betreiber*in, als
Prostitutionsgewerbe ein. Davon betroffen sind auch Prostitutionsfahrzeuge
(sogenannte Love-Mobile) sowie Prostitutionsveranstaltungen und
Vermittlungsagenturen.
Auch wenn transparente Regelungen für die Zulassung von Prostitutionsbetrieben
nicht per se abzulehnen sind, begünstigen die Regelungen des ProstSchG
Großbetriebe in unverhältnismäßiger Weise und bergen die Gefahr, dass kleinen
und mittleren Betrieben, die nicht alle Auflagen erfüllen werden können, die
Betriebserlaubnis verwehrt werden wird und sie somit entweder schließen müssen
oder illegal weiterbetrieben werden. 18 Derart in die Illegalität gedrängte Gewerbe
ließen sich keineswegs besser überwachen, so der djb. 19 Dabei seien insbesondere
kleinere und mittlere Betriebe häufig von Sexarbeiter*innen selbst organisiert und
verwaltet und böten ihnen im Vergleich zu Großbetrieben ein höheres Maß an
Sicherheit, Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit, argumentiert die Deutsche
STI-Gesellschaft. 20
Zusätzlich greift durch die Bewertung der Sexarbeit als Gewerbe auch das
Baurecht, welches Prostitutionsbetriebe als Vergnügungsstätten nur in Kern-,
Gewerbe- oder Industriegebieten duldet. Ein Großteil von Prostitutionsbetrieben
befinde sich jedoch in Wohngebieten, da Wohnungen der benötigten Infrastruktur
des Gewerbes mehr entsprechen als es Gewerberäume tun. Der djb weist
darauf hin, dass die Entkriminalisierung der Prostitutionsausübung allein noch
keinen effektiven Zugang zum Recht schaffe und strikt ordnungsrechtliche
Regulierung beim gesellschaftlich stigmatisierten Thema Prostitution die Gefahr
des Missbrauchs durch Ordnungs- und andere Behörden berge.
Da Betreiber*innen von Bordellen und anderen als Prostitutionsstätten definierten
Orten in Zukunft sicherstellen müssen, dass nur ordentlich angemeldete
Sexarbeiter*innen bei ihnen arbeiten, wird es für Sexarbeiter*innen ohne gültige
Anmeldung praktisch unmöglich gemacht, einen sicheren Arbeitsplatz zu
finden. Es sei daher zu befürchten, „dass gerade vulnerable Personen, die sich
gegen eine Anmeldung entscheiden, aufgrund dieser Illegalisierung weniger
für Unterstützung durch Fachberatungsstellen erreichbar wären“, warnt der
Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK). 23
In Ballungsgebieten ist Wohnraum meist knapp und teuer und verursacht
zusätzliche Kosten. Daher bedeuten die angemieteten Arbeitsräume insbesondere
für Sexarbeiter*innen, die außerhalb wohnen, die einzig finanziell machbare
Übernachtungsmöglichkeit. Andere haben keinerlei Alternativen zum Schlafen
am Arbeitsplatz und werden durch das Verbot am Arbeitsplatz zu schlafen
in die Obdachlosigkeit gedrängt oder indirekt dazu gezwungen, sexuelle
Dienstleistungen als Gegenleistung für eine Übernachtungsmöglichkeit
anzubieten.
§ 29 bis § 31 - Überwachung des Prostitutionsgewerbes
Die zuständigen Behörden sind „während der für Prostitutionsgewerbe üblichen
Geschäftszeiten“ befugt, Prüfungen und Besichtigungen der Grundstücke,
Geschäftsräume und der für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume
vorzunehmen, sowie jederzeit Personenkontrollen durchzuführen. Zur Verhütung
„dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ sind die
Behörden auch außerhalb der Geschäftszeiten zutrittsberechtigt, und das auch
in Fällen, in denen die Räumlichkeiten zugleich Wohnzwecken dienen. Die
Gesetzgeber*innen geben in § 29 Abs. 2 zu, dass sie damit das Grundrecht auf
Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG)
einschränken. Betroffene Personen und Dritte hätten diese Maßnahmen zu dulden.
Betreiber*innen sind verpflichtet, den zuständigen Behörden auf Verlangen alle
für die Überwachung des Geschäftsbetriebs erforderlichen Auskünfte zu erteilen
(§ 30). Die in § 29 geregelten Befugnisse stehen den zuständigen Behörden im
Übrigen auch dann zu, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass ein
Prostitutionsgewerbe ohne Erlaubnis ausgeübt wird oder Sexarbeiter*innen eine
Wohnung, andere Räumlichkeiten oder ein Fahrzeug für die Erbringung sexueller
Dienstleistungen nutzen (§ 31).
Mit diesen weit gefassten Paragrafen erhalten die zuständigen Behörden
umfangreiche Befugnisse zur Überwachung, die auch allein zu Hause arbeitende
Sexarbeiter*innen betrifft und deren Grundrecht auf Unverletzlichkeit der
Wohnung einschränken, obwohl keine Daten existieren, die belegten, dass
sich die Aufklärungsrate von Menschenhandelsdelikten überwiegend durch
Durchsuchungen oder Identitätskontrollen erhöht hätte. Wie dem aktuellen
Bundeslagebild zum Thema Menschenhandel des Bundeskriminalamts (BKA)
zu entnehmen ist, wurden Verfahren mehrheitlich aufgrund von Hinweisen
von Betroffenen oder Dritten eingeleitet. Nur in 17% aller Fälle war die
Verfahrensinitiierung auf anlassunabhängige polizeiliche Maßnahmen
zurückzuführen.
§ 32 biS § 33 Verbote und Bußgeldvorschriften
Mit dem ProstSchG wird eine Kondompflicht eingeführt, die auch für Oralsex
gilt (§ 32 Abs. 1). Dabei sind Bußgelder bei Verstoß nur für Kund*innen von
Sexarbeiter*innen vorgesehen (§ 33 Abs. 3). Werbung für sexuelle Dienstleistungen
ist fortan nur eingeschränkt möglich (§ 32 Abs. 3).
Wer gegen Auflagen des ProstSchG verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit,
die mit unterschiedlich hohen Geldbußen geahndet wird. Sexarbeiter*innen, die
unangemeldet arbeiten, können mit Geldbußen von bis zu 1.000 Euro bestraft
werden; wer unangemeldet ein Prostitutionsgewerbe betreibt, wozu wie oben
erwähnt auch bereits zwei Sexarbeiter*innen zählen, die in einer Wohnung
gelegentlich gemeinsam arbeiten, kann mit Geldbußen von bis zu 10.000 Euro
bestraft werden; Kund*innen, die entgegen § 32 Abs. 1 nicht dafür Sorge tragen,
dass ein Kondom verwendet wird, müssen mit Geldbußen von bis zu 50.000 Euro
rechnen (§ 33).
Wie die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) erläutert, steht die Kondompflicht der in
Deutschland im europäischen Vergleich so erfolgreichen Präventionsarbeit
entgegen, die auf Aufklärung und Eigenverantwortung basiert. Außerdem sei
die Kontrolle der Kondompflicht in der Praxis nicht umsetzbar, und Kunden mit
Wünschen nach ungeschütztem Sex würden dadurch „in illegale Bereiche der
Prostitutionsbranche abwandern, die sich durch dieses Gesetz ohnehin vergrößern
werden“, so die DAH. 25
Die Deutsche STI-Gesellschaft sieht in der Kondompflicht zudem die Gefahr, dass
sie die Betroffenen „in Scheinsicherheit vor sexuell übertragbaren Infektionen“
wiege, wie etwa Chlamydien, Gonokokken, Syphilis, oder humanen Papillomaviren,
die trotz Kondomgebrauch leicht übertragbar seien. 2
Zusammenfassung § 34 - Personenbezogene Daten
Soweit keine Schutzmaßnahmen gemäß § 9 Abs. 2 und keine Anordnungen
gemäß § 11 Abs. 3 vorgenommen wurden, sind Anmeldedaten spätestens
drei Monate nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Anmeldebescheinigung zu
löschen. Auch andere Empfänger*innen dieser personenbezogenen Daten sind
über die Löschung unverzüglich zu informieren und auf ihre Pflicht zur Löschung
hinzuweisen (§ 34 Abs. 3). Personenbezogene Daten von Sexarbeiter*innen
dürfen nicht an nichtöffentliche Stellen weitergegeben werden. Der Zugang
nichtöffentlicher Stellen zu personenbezogenen Daten von Sexarbeiter*innen
„in anonymisierter oder pseudonymisierter Form zum Zwecke der Forschung
und Statistik richtet sich nach den einschlägigen Gesetzen des Bundes und
der Länder.“ Öffentliche Stellen dürfen personenbezogene Daten „nur für
die Überwachung der Ausübung eines Prostitutionsgewerbes oder einer
Prostitutionstätigkeit“ verwenden. (§ 34 Abs. 2, 4 und 5). Darüber hinaus wird
der Inhalt der Anmeldung von der zuständigen Behörde unverzüglich an das
Finanzamt weitergeleitet (§ 34 Abs. 8).
Das ProstSchG verletzt die Richtlinie des Europäischen Parlaments zum „Schutz
natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten“, wonach
Informationen über das Sexualleben von Personen nicht registriert und
gespeichert werden dürfen. 27 Das Gesetz missachtet, dass die Datensicherheit
nicht gewährleisten kann, insbesondere, da diverse Teile des Gesetzes die
Weitergabe von Daten an Dritte ermöglichen, was die Risiken eines Outings,
der damit einhergehenden Stigmatisierung, und der oftmals daraus folgenden
negativen bis gefährlichen Konsequenzen erhöht. Offen bleibt zudem, zu
welchem Zeitpunkt Daten gelöscht werden, wenn Schutzmaßnahmen (§ 9 Abs.
2) oder Anordnungen (§ 11 Abs. 3) gegenüber Sexarbeiter*innen vorgenommen
wurden.
Auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs im Jahr 2016 wiesen die Professoren
Rüdiger Weishaben, Volker Grassmuck, und Stefan Lucks, Autoren der vom
Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen Studie „Technologie für und wider
die digitale Souveränität“, auf die Fortschritte bei der digitalen Gesichtserkennung
hin und warnten eindringlich vor einer Ausweispflicht für Sexarbeiter*innen. Auch
Aliasbescheinigungen könnten einfach deanonymisiert werden, mit unabsehbaren
Folgen für die Betroffenen. Dies hätte ein Fall in Russland im vergangen Jahr
bewiesen, in dem eine Vielzahl russischer Porno-Darstellerinnen mit einer
Gesichtserkennungssoftware deanonymisiert und danach belästigt wurden. Es
könne keiner Garantie der Bundesregierung vertraut werden, „wenn die es nicht mal
schafft, die Rechner im Bundestag zu schützen“, so der Kryptologe Rüdiger Weis
Forderungen - was wir brauchen! ************************
1. Um, wie vom ProstSchG vorgeblich beabsichtigt, Personengruppen, die
sich in prekären Verhältnissen befinden, zu erreichen, Menschenhandel zu
erkennen, und Betroffene zu unterstützen, sollten parallel zu den neuen
bürokratischen Hürden die freiwilligen und anonymen Unterstützungsangebote
bundesweit ausgebaut werden. Dringend notwendig sind mehrsprachige
Anlauf- und Beratungsstellen und niedrigschwellige, aufsuchende Arbeit,
darunter insbesondere auch durch Projekte mit einem Peer-to-Peer-Ansatz.
Darüber hinaus sollten weitere anonyme, niedrigschwellige, aufsuchende,
und mehrsprachige Angebote der öffentlichen Gesundheitsdienste
und Gesundheitsämter geschaffen werden, die auch für Personen ohne
Krankenversicherung und geregelten Aufenthaltsstatus zugänglich sind.
2. Zusätzlich sollten für die Förderung der Selbstbestimmtheit von
Sexarbeiter*innen fundierte Einstiegsberatungen ermöglicht werden, vor allem
durch Peer-to-Peer-Projekte oder die öffentlichen Gesundheitsämter, und Aus-
und Fortbildungsmöglichkeiten für Sexarbeiter*innen geschaffen werden.
3. Die in den Bundesländern jeweils zuständigen Behörden sollte von einer
Meldepflicht nach § 87 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ausgenommen
werden, sodass Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel bei ihrer Anmeldung
nicht befürchten müssen, in Gewahrsam genommen und abgeschoben zu
werden.
4. Zur Bekämpfung des Menschenhandels ist für Betroffene ein Aufenthaltsrecht
unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft in Strafverfahren einzuführen und
ihre Straffreiheit zu gewährleisten.
5. Bei Einleitung von Maßnahmen durch Behörden muss im Vorfeld unbedingt
das Einverständnis der betroffenen Personen eingeholt werden, sodass
sichergestellt werden kann, dass die Betroffenen mitentscheiden wohin ihre
Daten transferiert werden.
6. Für Sexarbeiter*innen ohne gültige Meldeanschrift sollten Kommunen eine für
die Betreffenden nutzbare Postanschrift zur Verfügung stellen.
7. Die verpflichtende Anmeldung und Beratung, die entgegen der Empfehlungen
von Sexarbeiter*innen und anderen Expert*innen im ProstSchG verankert
wurde, muss für Sexarbeiter*innen gebührenfrei sein.
8. Für das Verbot in Arbeitsräumen zu schlafen sollten klare Ausnahmeregelungen
geschaffen werden, insbesondere für Migrant*innen, aber auch für deutsche
Sexarbeiter*innen, die außerhalb ihres Wohnortes arbeiten.
Fazit ************************
Das ProstSchG ist in seiner verabschiedeten Form durchgängig inakzeptabel.
Es kriminalisiert Sexarbeiter*innen und stellt einen starken Einschnitt in ihre
Grundrechte dar. Die Entstigmatisierung der Sexarbeit ist eine besonders
wichtige, menschenrechtliche Forderung, der das Gesetz nicht einmal
ansatzweise gerecht wird. 15 Jahre nach Inkrafttreten des ProstG versäumen
es die Gesetzgeber*innen trotz großen Aufwands auf die Stimmen von
Sexarbeiter*innen und anderen Expert*innen aus den Bereichen Recht,
Gesundheit, AIDS/STI-Prävention, Menschenhandelsbekämpfung und
Opferschutz zu hören, die die Materie gänzlich besser verstanden und
umfangreiche Verbesserungsvorschläge unterbreitet haben. Wie es der Titel eines
Positionspapiers der Grünen passend beschreibt, muss wo Schutz drauf steht, Schutz drin sein. Das ProstSchG ist in der Form, in der es am 1. Juli 2017 in Kraft
treten wird, jedoch nur vorgeblich ein Gesetz zum Schutz von Sexarbeiter*innen
und die darin enthaltenen Maßnahmen vergeblich, um Sexarbeiter*innen auf
der einen Seite und Betroffene von Menschenhandel auf der anderen nachhaltig
zu unterstützen. Stattdessen werden insbesondere in Wohnungen gemeinsam
arbeitende Sexarbeiter*innen sowie migrantische, transidente, und anderweitig
spezifisch vulnerable Sexarbeiter*innen von diesem Gesetz in die Illegalität
gedrängt. Wo Schutz draufsteht, ist daher in großen Teilen schlicht ein Gesetz zur
Verdrängung der Sexarbeit enthalten.
Zitate ************************
Ich hab keine Meldeadresse, keine Krankenkasse und häufig keinen
Platz zum Schlafen. Jetzt soll ich mich anmelden und registrieren
lassen? Wie bitte soll das funktionieren? – Migrantische transidente
Straßen-Sexarbeiterin
Ich arbeite nachts und schlafe, wenn die Sozialarbeiterinnen
arbeiten. Wie soll ich mich da registrieren? – Transidente
Sexarbeiterin
Ich fühle mich unterdrückt. In meinen Augen ist [das Gesetz] ein
Werkzeug, um uns zu unterdrücken, was uns alle weniger sicher
sein lassen wird während der Arbeit und das Hurenstigma weiter
verstärkt. Eine Kollegin von mir ist Jüdin. Der Hurenausweis hat
ihre mentale Verfassung sehr beeinträchtigt. Sie sagte: ‘Na, das
hatten wir ja schon einmal in diesem Land. Du weißt ja, was dann
damals passiert ist.’ 11 – Deutsche Sexarbeiterin in einer Bar
Ich arbeite häufig für kurze Zeit in anderen Städten. Wie soll
das dann mit der Anmeldung dort für mich funktionieren? –
Sexarbeitern bei Sexparties, im BDSM-Bereich, und als cam girl
Der Hurenausweis wird interessant für uns. Mal davon abgesehen
das die meisten von uns eh nicht die Möglichkeit haben, ihn zu
kriegen, weil wir häufig keine Meldeadresse haben, ist es jetzt
schon extrem kompliziert, wenn wir auf der Straße kontrolliert
werden. Unser Gesicht auf der Straße hat meist keinerlei
Ähnlichkeit mit dem in unserem Ausweis. Wenn dann dort, wie es
normal ist, noch ein männlicher Name und “Mann” als Geschlecht
steht, geht der Ärger erst los. Mit welchem Namen und Foto sollen
wir den Hurenausweis bekommen und wie soll das umgesetzt
werden? Das wird noch spaßig für uns. – Migrantische transidente
Straßen-Sexarbeiterin
Die haben erzählt, das neue Gesetz würde uns vor Zuhältern
schützen. In Wirklichkeit aber haben die Zuhälter jetzt ein weiteres
Mittel, mit dem sie Druck auf Sexarbeiter*innen ausüben können,
wenn sie es schaffen, sich deren Hurenpass zu schnappen. Ich habe
zu viel Angst davor, geoutet zu werden, daher werde ich [den Pass]
nicht mitnehmen, wenn ich Outcalls mache. Wütende Kolleg*innen
und unsere Kunden werden noch ein Mittel haben, mit dem sie
uns unterdrücken und stalken können, wenn sie wollen. Was mich
anbetrifft, ist [der Hurenpass] ein Ding der Unmöglichkeit für
Outcalls oder auf der Straße. – Sexarbeiter*in in einem ordentlich
angemeldeten, mittelständischen Bordell
Ich fühle mich durch das ProstSchG wie ein Kind behandelt und
entmündigt. Mir wird vermittelt, eine unmündige Person zu
sein, die nicht in der Lage ist selbstbestimmt mit ihrer Sexualität
umzugehen. – Sexarbeiterin, die Escort-Dienste im höheren
Preissegment anbietet
Ich will mich nicht den Vorurteilen derer aussetzen, die
Zwangsberatungen vornehmen. Ich bin trans* und habe keine
Lust auf noch mehr Diskriminierung als ich eh schon erfahre. Es ist
nicht in Ordnung, dazu gezwungen zu werden, über seine Arbeit zu
reden. Es ist absurd und widerspricht meiner menschlichen Würde,
dass ich meinen Job verlieren soll wegen derer Vorstellungen von
der Gesundheit und Sicherheit in meiner Branche. – Transidente
Sexarbeiter*in in einem ordentlich angemeldeten, mittelständischen
Bordell
Mein Freund erledigt für mich die ganze Bürokratie. Ich versuche
zu verstehen was er tut, um nicht so sehr von ihm abhängig
zu sein, aber es gelingt mir noch nicht. Mit dem erhöhten
Registrierungsaufwand durch das ProstSchG werde ich es noch
weniger verstehen und meine Kolleginnen mit Zuhältern werden
dadurch noch abhängiger von Ihnen werden. – Migrantische
Straßensexarbeiterin
Ich arbeite mit zwei Kolleginnen in einer Wohnung, die wir
angemietet haben. Das fühlt sich gut und sicher an. Außerdem
haben wir so Platz zum Schlafen. Nach dem ProstSchG können
wir das offiziell nicht mehr machen. Wir haben keine Chance, die
Wohnung bei unserem Vermieter oder irgendwelchen Behörden
registrieren zu lassen. – Sexarbeiterin in einer Arbeitswohnung
Viele meiner Kolleginnen werden sich nicht registrieren können.
Das sind dann diejenigen, die ungeschütze Sexjobs machen
müssen und für zu niedrige Preise arbeiten werden. – Migrantische
Sexarbeiterin in einem Bordell
Das ProstSchG betrifft mich noch nicht und ich hab keine Ahnung
wie ich damit umgehen soll. Ich hab keine Krankenversicherung
und auch meine Meldeadresse funktioniert nicht gut. Ich muss
warten was passiert, wenn ich unregistriert erwischt werde. –
Migrantische Sexarbeiterin in einem Bordell
Wenn sie wollen, das wir safe arbeiten, sollten sie uns kostenlos
Kondome geben und Aufklärung mit unseren Kunden betreiben,
anstatt eine Kondompflicht einzuführen, an die sich viele nicht
halten werden. – Deutsche Sexarbeiterin in einem Bordell der
gehobeneren Klasse
Was passiert, wenn ich in Länder reise, in denen Sexarbeit verboten
ist, wie zum Beispiel in den USA? Ich habe Angst, dass meine Daten
irgendwie bekannt werden. – Migrantische Sexarbeiterin in einem
Bordell
Ich habe Angst davor, meinen Hurenausweis bei Haus- und
Hotelbesuchen mit zu meinem Kunden zu nehmen, da es für mich
undenkbar ist, dass meine Kunden meinen bürgerlichen Namen
und meine Adresse erfahren. – Sexarbeiterin im BDSM-Bereich
Ich habe aktuell schon kein Vertrauen in die Datensicherheit
in meinem Bordell und im Allgemeinen. Die neue Form der
Registrierung bietet noch mehr Möglichkeiten, dass meine Daten
als Sexarbeiterin bekannt werden. Da es keine Möglichkeit gibt,
in meinem Bordell unregistriert zu arbeiten, werde ich mich
registrieren lassen. Für mich ist es in Ordnung, die Outinggefahr
einzugehen, aber ich kenne viele Kolleginnen, die sich deshalb
nicht registrieren können oder sogar aufhören werden in der
Sexarbeit zu arbeiten. – Deutsche Sexarbeiterin in einem Bordell der
gehobeneren Klasse
Viele Behörden und die Bordellbetreiber*innen müssen unsere
Daten speichern. Ich bin mir sicher, dass die irgendwo zum
Vorschein kommen werden, wo sie mir oder meinen Kolleginnen
schaden werden. – Migrantische Sexarbeiterin in einem Bordell
Wenn die Zwangsregistrierung umgesetzt wird, werde ich
aufhören zu arbeiten, da ich der Datensicherheit nicht vertraue
und Angst vor einem Outing habe. Ich kann es mir nicht erlauben,
in meinem sozialen Umfeld als Sexarbeiterin geoutet zu werden. –
Sexarbeiterin im BDSM-Bereich