Fernsehkritik: „Ich war im Sexgeschäft“ aus der Reihe Fenster zum Sonntag (Bibel-TV)
Ich glaube an Gott, nur umgekehrt bin ich mir da nicht ganz so sicher. Geht euch das auch so: man will es sich, für den Fall des Falles, ja nicht mit dem Allmächtigen verscherzen. Deshalb gehe ich einmal im Jahr zu Weihnachten in die Kirche und höre jedes Mal die exakt gleiche Geschichte. Mein Gott, ihr seid seit Jahrhunderten im Veranstaltungsgewerbe und habt noch nicht einmal das Programm gewechselt. Wen wundert’s da, dass die Zuschauerzahlen rückläufig sind.
Heute habe ich den Sender Bibel-TV eingeschaltet. Praktisch eine Art virtueller Gottesdienst, leider nur in noch unerträglicher. Zwei Aussteiger-Berichte aus dem Sexmilieu waren angekündigt. Und es hat mich schon interessiert, ob die Kirche hier missionarisch alles Sexuelle verteufelt oder Tipps zum richtigen Umgang mit den fleischlichen Genüssen gibt. Letzteres ist ja gerade deshalb so komisch, weil folgerichtig die Empfehlungen bei Eheproblemen und sexueller Disharmonie von zölibatär lebenden Menschen erteilt werden, die streng genommen überhaupt keine Ahnung davon haben können worüber sie da schwadronieren. Bei der aktuellen Debatte, aufgrund der zahlreichen Missbräuche in der Kirche, dozierte ein Bischoff kürzlich, wie er seine Sexualität in Schach halte, da er ja weder selbst noch fremde Hand anlegen dürfe. Er würde seine Sexualität auf eine höhere Ebene sublimieren, lautete seine Antwort. Ich habe das Gefühl, es steigt soeben Unverständnis in mir auf. Dann will ich mal flugs zur Rezension des Fernsehbeitrags kommen, bevor da am Ende noch was bei mir sublimiert.
Düstere Musik zum heiklen Thema machend, so beginnt die Dokumentation. Ein brutaler Zuhälter, namens Jo, und Birgit, eine ganz normale Hausfrau, die plötzlich auf dem Straßenstrich landet, werden von der Moderatorin angekündigt. Es wird der Eindruck vermittelt, dass jeder Mann, wenn er seine barbarische Ur-Gewalt nicht kultiviere, unvermeidlich zum zuschlagenden Zuhälter mutierte, und jede Frau, die am frühen Abend noch nicht im Bett liege, als Nutte endete. Diese Denke wird natürlich nur zu vermitteln versucht. Falls man es so deutlich ausspräche, würde man sich ja vollends lächerlich machen. So gescheit sind sie – die Aufklärer bei Bibel-TV.
Die sonore, einprägsame Stimme von Aktenzeichen XY macht uns im dramatischen Tempre mit der Ausgangslage der Prostituierten und des Zuhälters vertraut. Und man denkt, konditioniert von der Verbrecherjagdsendung, gleich sind sie beide tot.
Birgit, Sie erinnern sich, das war die ganz normale Hausfrau, lässt sich scheiden. Sie fängt an zu trinken. Sie nimmt Kokain. Sie hat nichts mehr auf dem Konto. „Um die teure Sucht zu finanzieren, beginnt sie ihren Körper zu verkaufen. Über das Internet vereinbart sie Treffen mit Männern“, so sagt’s die ausgebildete Schauspielerstimme aus dem Off. Er schafft es beim Aussprechen des Wortes „Männern“ so viel Ekel in seine Betonung zu legen, dass ich kurz erschrecke, weil ich ja selbst diesem Geschlecht angehöre. Birgit hält ihr Leben nicht mehr aus, will sich umbringen. Aber einer hält sie davon ab. Na, ahnen Sie wer es ist? Gott hat ihr aus der Krise geholfen. Gott hat ihr ein Zimmer in der Wohngemeinschaft für ehemalige Drogenabhängige besorgt. Dieser Gott muss ja ein total dufter Typ sein.
Jo, der Zuhälter, wird als Kind von der Mutter ins Heim gesteckt, er weiß nicht, was Liebe ist, denn die Mutter hat ihn nie geliebt, ein paar Gaunereien, er endet im Knast, Auseinandersetzungen pflegt er mit zuschlagenden Argumenten zu gewinnen. Diese Geschichte meint man schon ewig oft gehört zu haben. Der Ex-Zuhälter erzählt sein Leben jedoch im gebügelten Hemd, mit Schlips und, jetzt bitte genau lesen, mit einer Wollmütze, worauf
www.jesus.ch eingestickt ist. Von Gott hätte er damals schon mal gehört. Der Ex-Zuhälter wird gläubig und Mitglied der Heilsarmee. Gott hat das geregelt. Vielleicht fünfzig Jahre zu spät. Aber besser spät als gar nicht. Herr Gott, hast du etwa einen Helferkomplex?