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Alt  06.09.2015, 10:14   # 251
Epikureer69
Hedonist
 
Mitglied seit 15.04.2014

Beiträge: 2.332


Epikureer69 ist offline
Romantische Verklärung und so.....

Ich bekenne freimütig, dass FJS zu seinen Lebzeiten für mich das absolute politische Feindbild darstellte und meine politisch gleichgesinnten Freunde und ich, ihn mit den gleichen Vokabeln titulierten, wie ich sie hier überwiegend lese (z.B. korrupt, narzistisch, machtbesessen, antidemokratisch usw.), jetzt über zwei Jahrzehnte nach seinem Ableben hat sich unsere Gesellschafts - und Politkultur in einer Weise verändert, dass sich für mich in der Gesamtschau doch einiges relativiert.

Trotz meiner grundsätzlichen Ablehnung des Politsystems, welches FJS verkörperte (CSU nicht als Partei, sondern als "staatstragende Kraft"), gab es auch damals Facetten an ihm die ich zumindest respektierte, nämlich dass er Figuren wie Kohl (dem Prototypen der heutigen Politikergeneration), kognitiv und intellektuell deutlich überlegen war sowie den Hang zur deutlichen, transparenten Sprache (deshalb gibt's ja von ihm soviele Zitate, die heute noch bekannt sind, wie in den Vorbeiträgen zu lesen).

Die damalige Politkultur sorgte dafür, dass er auch ernstzunehmende politische Antipoden hatte, z.B. in Wehner, Schmidt, Genscher usw.
Heute sehe ich unsere "Spitzenpolitiker" eher als routinierte "Aussitzer" (ja,ja, die Kohl'sche Schule), oder insuffiziente "Rohrkrepierer". Bestes Beispiel unser jetziger Innenminister, der unlängst als Verteidigungsminister, durch Unfähigkeit und faules Aussitzen in der "Drohnenaffäre" für die Verschwendung einer halben Milliarde(!) Steuergelder verantwortlich zeichnete. Mir wäre es als Steuerzahler lieber gewesen, er hätte diesen Schaden durch sinnvolles, kluges Agieren vermieden und hätte sich 5 Millionen nebenher durch Korruption verdient.

Einzige Ausnahme, in der aktuellen Politszene ist für mich Gregor Gysi, der ebenfalls über einen messerscharfen Intellekt verfügt und die klare Meinungsäußerung nicht scheut. Leider vertritt er eine Partei, die allein durch ihn auch keinen Deut besser wird. Ihn hätte ich lieber als SPD-Spitzenkandidaten in der Landschaft (wäre eine tolle Alternative zu dem Dummschwätzer Gabriel).

Deshalb bin ich der Meinung, dass Aussagen, dass "Charakterköpfe" (sprich Politiker mit einem klaren Profil und einer klaren Sprache) wie FJS der heutigen Politlandschaft fehlen, nichts mit romantischer Verklärung zu tun haben, sondern den traurigen Verfall der politischen Meinungsbildung, vertreten durch die heutige Politikergeneration, in unserer Gesellschaft als Ursache haben.

"Verklären" wir nicht auch unsere politische Gegnerschaft, als er noch mächtig und zumindest in Bayern bei vielen Mitbürgern auch außerordentlich populär war, gegenüber FJS im Nachhinein recht gerne ?

Über zwei Jahrzehnte nach seinem Tod, vertrete ich die Meinung, dass er nie so "gut" war, wie seine "CSU-Fans" ihn heute noch, im Rahmen der Heldenverehrung sehen, aber auch nicht so unterirdisch "schlecht" wie die politischen Antipoden ihn bis in die Gegenwart hinein sehen wollen. Er war einfach auch ein Bestandteil der damaligen Polit - und Gesellschaftskultur, die ich in weiten Teilen, als liberaler, leistungsstärker und ehrlicher empfunden habe, als die heutige.

In der "Ist-Zeit" sehe ich profillose Politiker, deren politische Unfähigkeit nur noch durch das allmähliche Aussterben eines wirklich guten intellektuell fundierten, investigativen Journalismus, übertünscht wird (was deshalb an Korruptionsaffären im Hintergrund alles so läuft, will ich lieber gar nicht wissen).

Deshalb würde ich mich manchmal gerne in eine Zeitmaschine setzen mich 35 Jahre "zurückbeamen" lassen, die "Stoppt Strauß" - Plakette an die alte Rostlaube kleben, schauen, dass ich immer 20 Pfennig für die Telefonzelle dabei habe, mir nach Feierabend in der Stammkneipe mit Freunden gemütlich eine Fluppe in den Mundwinkel schieben, dabei über FJS lästern, im SPIEGEL wirklich noch Interessantes lesen können und vor Allem das damalige Lebensgefühl noch mal "inhalieren" können......................
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"Sex, Fußball und Saufen", wobei im höheren Lebensalter die "Kardinaltugenden" zwei und drei, im Leben eines Mannes immer mehr an Bedeutung gewinnen.

"Man sieht den Splitter im Auge des Anderen, aber nicht den Balken im Eigenen."

Dieses Zitat widme ich meinen besonderen "virtuellen Freunden" hier.
Danke von