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Alt  09.11.2005, 01:01   # 845
NailLover
 
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NailLover ist offline
Apparition

Prototypisch für die Kunstwerke ist das Phänomen des Feuerwerkes, das um seiner Flüchtigkeit willen und als leere Unterhaltung kaum eines theoretischen Blicks gewürdigt wurde; einzig Paul Valery hat Gedankengänge verfolgt, die zumindest in seine Nähe führen. Es ist eine apparition (eine Himmelserscheinung) kat'exochen: empirisch Erscheinendes, befreit von der Last der Empirie als einer Dauer, Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die noch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt. Die Absonderung des ästhetischen Bereichs in der vollendeten Zweckfreiheit eines durch und durch Ephemeren bleibt nicht dessen formale Bestimmung. Nicht durch höhere Vollkommenheit scheiden sich die Kunstwerke, sondern gleich dem Feuerwerk dadurch, daß sie aufstrahlend zur ausdrücklichen Erscheinung sich aktualisieren. Sie sind nicht allein das Andere der Empirie: alles in ihnen wird ein anderes.
Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 13. Aufl. Frankfurt a.M. 1995, 125f.


Es ist an der Zeit, die Passage im Original hier vorzustellen, in der Adorno den Zentralbegriff seiner Ästhetik einführt und erläutert: apparition. Je länger ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird es mir, dass weiblicher Glamour als eine "Himmelserscheinung", als ein "Himmelszeichen" begriffen werden muss. Alles in einem Bordell (Architektur, Design, Kommunikation usw.) muss darauf bezogen sein, die "Feuerwerke" des weiblichen Glamours optimalst zu ermöglichen. Adornos Ästethik - wenn auch zugegeben auf einigermaßen abstraktem Niveau - darf als eine Handreichung für die Inszenierung von Bordellen gelesen werden. (Ob die junge Studentin, die in den sechziger Jahren in einem Frankfurter Hörsaal ihren Busen vor Teddy Adorno entblößt hat, dieser Zusammenhänge sich bewusst gewesen sein mag?).

Im Übrigen könnte man fast sagen, dass das Bordell das Schicksal des Feuerwerks teilt: es wird gern - zumal von unseren Gattinnen (!) - "als leere Unterhaltung" abgetan und - die Doktoranden haben Angst vor dem Thema (!) - "kaum eines theoretischen Blicks gewürdigt". Obwohl man gerade in einem Bordell der "aufstrahlenden Erscheinung" göttlicher Vollkommenheit habhaft werden kann. Habhaft im rustikalen Sinne des Wortes freilich gerade nicht. Mit dem weiblichen Glamour verhält es sich tatächlich wie mit Feuerwerken: Er lässt sich nicht festhalten, sondern nur für die Gnadenfrist eines Moments genießen. Wer im Babylon bis morgens um 4 Uhr durchhält und die Damen in ihren Jeans und winterlichen Daunenjacken auf das Taxi warten sieht, wird schmerzlich gewahr, dass Glamour sich nicht einmal über die kurze Frist einer Nacht hinweg konservieren lässt. Das Feuerwerk ist verglüht, zurück bleibt die erkaltete Asche. Morgens um 4 Uhr im Babylon: das ist ein wenig wie ein Spaziergang am Neujahrstag, wo man im Neuschnee mit seinen Stiefeln überall auf die Überbleibsel des Silvesterfeuerwerks tritt ...

Ich wünsche Euch und mir noch jede Menge augengleißender Feuerwerke weiblichen Glamours (nicht erst zum Jahresende!) - wie sollte man Glamour angemessener aus dem Amerikanischen übersetzen als mit dem Verweis auf die "altmodische" Kategorie des Feuerwerks?

Herzlich,
Naily
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