Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt  04.08.2016, 02:18   # 491
francoise
 
Benutzerbild von francoise
 
Mitglied seit 19.08.2012

Beiträge: 476


francoise ist offline
Das Kammergericht hat über die Haftanordnungen entschieden, eine Anklage ist ja noch nicht erhoben. Die Beantragung der Haftbefehle war mit der Scheinselbständigkeit und daraus folgend Hinterziehung der Sozialabgaben sowie mit dem Vorwurf der "Ausbeutung", des Entzugs von Arbeitsentgelt und dann zuletzt noch dem Vorwurf der organisierten Kriminalität begründet worden. Die in die Welt gesetzte Zahl von "17,5 Mio. €" bezog sich allein auf Sozialabgaben, die Zahl wurde vom Vertreter des Hauptzollamts vorgetragen, das nicht für Steuertatbestände, sondern für die Verfolgung von Schwarzarbeit zuständig ist. Der Vorwurf der Umsatzsteuerhinterziehung spielte im öffentlichen Vortrag der Staatsanwaltschaft nur eine Nebenrolle - warum dies so ist, erschließt sich nicht. Hier ist ein Link mit einem Video von der berüchtigten Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft:

https://www.morgenpost.de/politik/art...31/PK-mp4.html

Wenn Haftbefehle aufgehoben werden, geschieht dies fast immer mit der Begründung, dass Flucht- und Verdunkelungsgefahr nicht mehr bestehen. Hier hat das Kammergericht mit der Begründung aufgehoben, dass kein Tatverdacht mehr besteht. Das Kammergericht hat ausdrücklich hervorgehoben, dass nach dem Vortrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Prostituierten im Artemis als selbständig anzusehen sind, und insofern bereits in diesem Verfahrensstand eine rechtliche Wertung vorgenommen.

Das von @magermag zitierte Urteil des Finanzgerichts Hamburg (vielen Dank für den Hinweis!) setzt sich mit der im Umsatzsteuerbereich klassischen Problematik des "Vermittlers" auseinander. Dies betrifft typischerweise die Ferienhausagentur, die zum Beispiel ein Ferienhaus im Ausland für 2.500 Euro netto anbietet, das ein ausländischer Privatmann für 2.000 Euro zur Verfügung stellt, ohne Umsatzsteuer zu berechnen. Die Agentur kann sich dann nicht darauf beschränken, die Umsatzsteuer nur auf ihren Agenturanteil zu berechnen, also mit 95 €, sondern muss den Gesamtbetrag zugrundelegen, so dass das Ferienhaus schließlich brutto 2.500 + 475 € kostet. Das FG Hamburg verweist darauf, dass ja auch der Ladenbesitzer, der einen Artikel verkauft, nicht nur die Umsatzsteuer auf seinen Preisaufschlag schuldet.

Aber das Finanzgericht Hamburg stellt im Einklang mit der Rechtsprechung auch klar, dass es darauf ankommt, wer in der Außenwirkung der Erbringer der Leistung ist. Dies war im damals entschiedenen Fall der Bordellbetreiber, und zwar aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände. In diesem Fall ist es unerheblich, ob die eigentliche Leistung durch eine Angestellte oder durch eine selbständige Subunternehmerin erbracht wurden. Im entschiedenen Fall war es insbesondere so, dass der Gast nicht an die Prostituierte zahlte, sondern an eine Rezeptionistin, die dann einen Anteil des Entgelts nach Schichtende an die Prostituierte weitergab.

Aus dieser Rechtsprechung ist also keineswegs zu schließen, dass in jedem Fall der Bordellbetrieb Schuldner der Umsatzsteuer ist. Wenn der Betreiber diese Entgelte weder mit dem Gast vereinbart, sie nicht kennt und physisch nie in die Hand bekommt, wird wohl kaum anzunehmen sein, dass er der Schuldner der Umsatzsteuer ist.
Antwort erstellen         
Danke von