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Alt  26.03.2006, 20:48   # 9
Felix Krull
Hochstapler
 
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Felix Krull ist offline
"die große freude"

„indem ich die (tastatur) ergreife, um in völliger muße und zurückgezogenheit – gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde (so dass ich wohl nur in kleinen etappen und unter häufigem ausruhen werde vorwärts schreiten können), indem ich mich also anschickte, meine geständnisse (…) dem geduldigen (leser) anzuvertrauen, beschleicht mich das flüchtige bedenken, ob ich diesem geistigen unternehmen nach vorbildung und schule denn auch gewachsen bin.“

so sei es den versuch wert, wie überhaupt nur wert zu sein scheint, was es neues zu versuchen gilt, denn alles bekannte führt, da bar der anfänglichen, neugierigen versuchung, früher oder später zu dem, was wir gemeinhin als langeweile verachten.

wohl ist es schon einige zeit her, als ich dieser leidenschaftlichen versuchung zum wiederholten male erlag und deren befriedigung mir noch im moment, da ich diese zeilen tippe, ein wahrhaftiges glücksgefühl beschert, das wohl nur jener mit mir zu teilen im stande sein wird, der jemals vor der grüngoldenen pforte in der wienerischen liebenberggasse stand, zaghaft den kleinen runden knopf betätigend, der sekunden später den ersehnten einlass in die barocke stätte von erotik und luxus bewirkt.

noch ehe mir mein mantel, den der in diesem jahre nicht enden wollende winter mir leider noch aufzwang, freundlichst abgenommen wurde und noch ehe ich einen ersten neugierigen blick an die zur linken des eingangs befindliche bar wagte, erreichte mich jenes euphorische „hallo, schön dich zu sehen“, welches in dieser art nur die wunderbar aufmerksame und elegante dame des hauses, die auf den so gar nicht zu ihrem schäumenden charakter passenden namen klara hört, hervorzubringen vermag.

die unterhaltung mit ihr währte nur kurz, ist sie doch äußerst geschickt darin, den männlichen blick und mit diesem das entsprechende interesse auf die neben ihr anwesenden damen zu lenken, gerade so, als ob es diesen, wenn auch durchaus charmanten, anstoss auch nur im geringsten bedürfte.
unmöglich erscheint es, die vielzahl der damen, die aus aller herren länder in dem wahrhaft nicht allzu hellen barraum zusammengeführt werden, in jener art und weise zu erfassen, die ihre jeweilige einzigartigkeit und, warum nicht, besonderheit auf dem ersten blicke ersichtlich machen würde. seit jeher ist mir in meinem speziellen tun innigst daran gelegen, gerade diese einzig- und besonderheit der damen zu beachten, da die bewegung deren erkundung und entdeckung regelmäßig einen ganz besonderen reiz in mir entfacht.

„denn wer welt und menschen für wenig oder nichts achtet und sich früh mit ihrer belanglosigkeit durchdringt, wird geneigt sein, in gleichgültigkeit und trägheit zu versinken und einen vollkommenen ruhestand jeder wirkung auf die gemüter verachtungsvoll vorzuziehen – abgesehen davon, dass er durch fühllosigkeit, seinen mangel an teilnahme und bemühung überall anstossen, die selbstbewusste welt auf schritt und tritt beleidigen und sich so wege auch zu unwillkürlichen erfolgen abscheiden wird.“

was meiner, wenngleich auch nur potenziell vorhandenen, trägheit an diesem abend süsse verhinderung bescherte, traf mich gänzlich unvorbereitet mit gleichermaßen tiefgründigen wie dunklen augen solcherart, dass es im kleinsten teil einer sekunde um mich geschehen ward. es ist auch heute noch, aus der sicheren entfernung mehrerer tage, nicht leicht, die elemente zu beschreiben, aus denen diese geheimnisvolle frau mein offenes entzücken und loderndes verlangen webte. zweifellos aber trugen das von morgenländisch zarten zügen geformte antlitz, das lange, gewellte haar, die feinen glieder der hände, der vollends unter rotem satin verborgene, wie sich später herausstellte, natürlich volle busen und jedenfalls das von ihr mit hoher emotionaler intelligenz geführte gespräch, das wir zwischen dem einen und anderen nippen am mit vorzüglichem weißwein gefüllten glas, in einer weise führten, die einem fremden betrachter geradezu so erscheinen musste, als ob wir uns schon tausend male zuvor gesehen hätten, all das trug dazu bei, dass ich vollauf fasziniert von ihr mich zum baldigen rückzug in eines der bereiteten zimmer verführen ließ.

so intensiv wir an der bar uns unterhielten, so leidenschaftlich schweigsam geschah es in der angenehmen wärme des schmucken zimmers. denn fortan sprachen hände, die nur von mit feinstem jojoba versetztem öl von samtweicher haut getrennt, sacht massierend ihren so wunderbar geformten körper noch geschmeidiger werden ließen, als mir ohnehin schon nach dem überaus reizvoll dargebrachten ablegen ihres seidigen kleides offenbart wurde.

wie oft geschieht, dass die langsam und durch zärtliche hände vollzogene entspannung des körpers jenem des geistes vorangeht. das wollüstige winden dieser wunderschönen frau unter meinen händen war mir sicheres zeichen dafür. wie auch das, was abschließend noch fragend eingeflochten werden könnte:

„ist denn nicht auch der tierische liebesvollzug nur die roheste art und weise, dessen zu genießen, was ich einst ahnungsvoll ‚die große freude’ nannte? er entnervt uns, indem er uns allzu gründlich befriedigt, und er macht uns zu schlechten liebhabern der welt, indem er einerseits diese vorerst des schmelzes und zaubers, andererseits uns selber der liebenswürdigkeit entkleidet, denn liebenswürdig ist nur der verlangende, nicht der satte. Ich für meinen teil kenne viele feinere, köstlichere, verflüchtigtere arten der genugtuung als die derbe handlung, die zuletzt doch nur eine beschränkte und trügerische abspeisung des verlangens bedeutet, und ich meine, dass derjenige sich wenig auf das glück versteht, dessen trachten nur geradewegs auf dies ziel gerichtet ist.“


f. krull
(in blau geschriebener text: t. mann - die bekenntnisse des hochstaplers felix krull)
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Man könnte den Marquis de Venosta durchaus als ambivalente Existenz ansehen! Wenn man nicht blind ist!
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