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Alt  01.08.2016, 16:40   # 489
Puk
Lustgeist
 
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Beiträge: 1.026


Puk ist offline
Nette theoretische Abhandlung magermag,
nur hat sie mit der Praxis nicht viel zu tun.

Um nur mal ein Beispiel herauszugreifen (weil mir momentan für längere Anhandlungen die Zeit fehlt):
Die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive hinsichtlich der Erfordernis, dass ein Amtsrichter den Durchsuchungsbeschluss/Haftbefehl unterschreiben muss, ohne welche die Staatsanwaltschaft nicht entsprechend vorgehen kann, ist graue Theorie. In der Praxis bekommt die StA. nahezu immer die erforderliche Unterschrift unter solch einen Wisch, weil der zuständige Amtrichter weder die Zeit noch die Möglichkeiten hat, die genaueren Umstände wirklich zu prüfen. Sowas wird in aller Regel einfach durchgewunken.
Die Staatsanwaltschaft wiederum untersteht (im Gegensatz zu den Gerichten) dem Land als Dienstherren. Wenn also bspw. ein pressegeiler Justizsenator unbedingt ein medienwirksames Exempel statuieren will, dann erfolgt das genau so - und ist in der Umsetzung auch gar kein Problem.
Wirklich genauer schauen die Gerichte erst dann auf solche Vorgänge, wenn es gilt, die Anklage zuzulassen. Und genau das wird im vorliegenden Fall mit 90%iger Wahrscheinlichkeit nicht passieren.

Auch und schon gar nicht bzgl. dem Thema Umsatzssteuer. Diese war und ist nicht ohne Grund bislang weder von der StA. noch dem Steuerbehörden in irgendeiner Form thematisiert worden (es ging in allen öffentlichen Verlautbarungen stets nur um angeblich hinterzogene Lohnsteuer und Sozialabgaben).
Im Übrigen schließen sich anfallende LSt. und USt. schon denklogisch wechselseitig aus. Staatsanwaltschaft/Zoll/Fiskus müssen sich also schon vorher entscheiden, welche Richtung sie einschlagen. Jetzt USt. geltend zu machen wäre eine 180 Grad-Wendung ... und damit gäben sich die Amtsdeppen endgültig der Lächerlichkeit preis.

Im Übrigen ist der Ansatz der Behörden bei ihrem scheinheiligen Kampf gegen das Millieu nicht etwa neu (wie der zwischenzeitlich strafversetzte leitende OStA Behm sich nicht entblödete, der Presse in die Feder zu diktieren), sondern ein alter Hut. Nahezu alle Razzien der letzten 20 Jahre waren auf der Argumentationsschiene "Scheinselbständigkeit --> Lohnsteuer-/Lohnnebenkosten-Hinterziehung" aufgebaut. Aber noch kein einziges mal kam auf dieser Grundlage irgendwo in Deutschalnd eine nennenswerte Verurteilung zustande.
Das Thema USt. wurde überhaupt noch nie in einem solchen Zusammenhang bemüht - eben, weil es sich mit obigem Ansatz nicht vereinbaren lässt.

Stichwort Schadensersatz:
Richtig ist, dass nur aus dem Tatbestand der U-Haft heraus nahezu keine Chance besteht, nennenswerten Schadensersatz geltend machen zu können (von der lächerlichen Haftentschädigung mal abgesehen).
Wohl aber ergibt sich eine ganz brauchbare rechtliche Ausgangslage aus dem Umstand der reisserischen Darstellung der StA. im Rahmen ihrer Presseverlautbarungen. Und genau in diese Kerbe werden die Artemis-Anwälte auch schlagen, wenn sie ihr Handwerk verstehen.

Wie immer das Ganze auch ausgeht - für Senat, Staatsanwaltschaft, Polizei, Zoll und Fiskus ist die Aktion jedenfalls ein öffentliches Debakel ... und damit leider typisch für Berlin.
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Danke von