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Alt  15.01.2017, 21:31   # 104387
Drballa
Leichenfinder a.D
 
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Drballa ist offline
Zum Dank für das schöne Präsent übernehm ich den Job vom (Dann)er, was über den Tafelspitz zu referieren

Da ich bisher nur ganz selten sowas Gutes zu Essen bekam und dann sicher auch nur billige Ausführungen davon, hab ich - um Euch wirklich dafür zu begeistern - einen Kollegen gebeten zu recherchieren - das Ergebnis: voila oder so ähnlich...


Küchenklassik: Der Tafelspitz – Rindfleisch mit Geschichte
Geschrieben von: August F. Winkler

Der Tafelspitz, aufgetischt in seinem vollen Ornat, also klassisch flankiert von Knochenmark, Brühe, Gemüse oder passiertem Spinat, Apfelkren oder mild-süßlicher Schnittlauchsauce und Bouillonkartoffeln oder Bratkartoffeln, die eher wie Rösti zubereitet werden, ist das prominente Galastück der österreichischen Rindfleischküche. Kaiser Franz Josef, der mit dem markanten Backenbart, hat sich jeden Mittag - ausgenommen an Sonntagen, da wurde üppiger gekocht und gebraten - das höfisch vornehm "Boeuf à la mode" betitelte Gericht servieren lassen. Das Fleisch mußte so mürbe sein, daß es mit dem Löffel zerteilt werden konnte. Und das gehobene Bürgertum, stets geneigt, dem Hofe nicht nur modisch, sondern auch kulinarisch zu folgen, tat es am Eßtisch dem Kaiser gleich und machte aus einem Stück Fleisch einen Kult.

Zwar sind auch andere Partien vom Rind, gesotten und artig dargeboten, des Beifalls wert: Der Kruspelspitz mit Knochen vom Schulterblatt (was für Kenner), das magere Hieferscherzl aus der Keule (hierzulande Schlegel oder Schlögel genannt), der saftige Kavaliersspitz (sitzt unterm Schulterblatt), das köstliche Beinfleisch aus dem Vorderviertel, das fettarme Meisel von der vorderen Schulter, das aromatische Schulterscherzl mit dem gallertartigen Kern oder das kaum noch gepflegte Pastorenstück, auch Bürgermeisterstück genannt, von Kennern sofort als saftiges Stück in der Form einer Haifischflosse vom oberen Teil der Keule geortet, sind achtbare Mitglieder im großen Fleischkosmos.



Aber der Tafelspitz ist hoher, international geschätzter Rindfleischadel, wobei anzumerken ist, daß darunter von Haus aus ein bestimmtes Stück Fleisch vom Rind zu verstehen ist, das erst durch seine Zubereitung, den Kochprozeß, zum allseits bekannten "Tafelspitz" geadelt wird. Von Ewald Plachutta, dem Großmeister des Siedefleischs, der in seinen nach ihm benannten Lokalen in Wien, wahren Tempeln des Tafelspitzes, die klassische Rindfleischkultur unnachahmlich pflegt, stammt folgende Empfehlung für die Herstellung eines rechten Tafelspitzes, der übrigens aus dem besten Teil der oberen Keule feinfaserig, wohlgerundet mit apartem Fetthäubchen und spitz zulaufend geschnitten wird: Nicht kochen, nur schwach wallen lassen, und das – je nach der Größe - drei bis vier Stunden lang mit Suppengemüse, angerösteten Zwiebelhälften, Knochen und Meersalz.

Boeuf à la ficelle im Pariser Edelbordell

Im "One-Two-Two", dem bis zum Zweiten Weltkrieg in der Pariser Rue de Provence 122 gelegenen Edelbordell, gab es auf sieben Etagen neben 22 exquisit mit Prunkbetten und großen Spiegeln eingerichteten Themenzimmern, Salons sowie Bars auch ein Restaurant für die reiche und prominente Klientel. Zu Stammgästen zählten Jean Gabin und Charlie Chaplin, Humphrey Bogart, Marlene Dietrich, Edith Piaf, die Colette und Fernandel. Konträr zur Vielseitigkeit des erotischen Angebots wurde allerdings nur ein einziges Menü offeriert: Kaviar, gefolgt von "Boeuf à la ficelle", einem wie Tafelspitz in einem Gemüse- und Wurzelsud gegartem Rinderfilet, Käse, Dessert.

Solcherart gekonnt, ja liebevoll und zärtlich zubereiteter Tafelspitz erhebt sich naturgemäß hoch über ausgelaugtes Faserfleisch, das in vielen Gaststätten freudlos serviert wird. Gekochtes Rindfleisch war denn auch bis ins 19. Jahrhundert kulinarisch umstritten. Marx Rumpolt, Leibkoch des Mainzer Kurfürsten, lobte 1581 in seinem „New Kochbuch“ wohl ein gesottenes Rindfleisch mit Meerrettich als Schmaus der bürgerlichen Festtagstafel. Hingegen wertete Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755-1826), für seine „Physiologie des Geschmacks“ immerhin als Gourmetpapst gepriesen, das Suppenfleisch sei „ein Fleisch ohne Saft“. Noch abfälliger urteilte Antonius Anthus (alias Gustav Blumröder, 1802-1853) in seinen 1838 erschienenen, ansonsten sehr gescheit geschriebenen „Vorlesungen über Eßkunst“: „Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe gesottene Rindfleisch…und dieses ab- und ausgekochte, saft- und kraftlose Fasergewebe gilt als Speise…“

Klüger äußerte sich Alexandre Dumas (1802-1853) – ja, der berühmte Autor des Monte Christo sowie der drei Musketiere - in seinem 1870 vollendeten „Das große Wörterbuch der Kochkunst“, worin er den Tafelspitz als den schmackhaftesten Teil vom gekochten Rind rühmte. Auch Otto Nebelthau widmete dem gesottenen Ochsenfleisch in seinem 1936 erschienenen und heute noch lesenswerten Buch „Vom heiteren Kochen“ eine Eloge inklusive einer Rezeptur, deren Umsetzung die Thesen von Anthus & Genossen, daß durch Kochen der Eigensaft des Fleisches verloren ginge, als irrig und zu kurz gedacht entlarvt. Gewiß verliert Fleisch, das in kaltes Wasser gelegt und stundenlang gekocht wird, erheblich an Aroma. Das Ergebnis wird zwar eine mehr oder weniger starke Fleischbrühe sein, aber eben kein honoriger Tafelspitz. Nebelthau empfiehlt deshalb logischerweise, das Fleisch in stark kochendes Wasser zu legen, dem aber schon vorher die Gemüsewürze zugesetzt worden ist – das „kochende Wasser ist also schon würzig und kann das sich erschreckende Fleisch sättigen, das selbst wiederum nur wenig von seiner Kraft an das Wasser abgibt“.
Genau darin liegt das Geheimnis eines guten Tafelspitzes, wobei vorauszusetzen ist, daß es sich um bestens abgehangenes Fleisch handelt, idealerweise entweder vom Ochsen, oder von der Färse, wie der Metzger das ausgewachsene weibliche Rind nennt, das noch kein Kalb zur Welt gebracht hat. Nur Stücke von diesen beiden Tieren verfügen über jenes bildschön mit feinen Fettsträhnen marmorierte Fleisch, das gleichermaßen zart und hocharomatisch schmeckt. Und selbstverständlich erhöht sich der Genuß am Tafelspitz, wenn das Stück von einer Fleischrasse, nicht von einer auf Hochleistung getrimmten Milchkuh stammt und aus dem besten Teil der Hüfte, genauer: der oberen Keule, geschnitten wird.



Zur absoluten Delikatesse gerät der Tafelspitz, wenn er in eine kochende Brühe gelegt wird, in der bereits schieres Suppenfleisch (beispielsweise von der Brust) nebst Fleischknochen (sehr gut: Beinscheiben mit Mark) sowie Gewürzen eine gute halbe Stunde lang geköchelt und einen Teil seiner Kraft ans Wasser abgegeben hat, das nun über ausreichend Eigenaroma in Form von Geschmacksstoffen, Fett und Würze verfügt, so daß dem eigentlichen Star, dem Tafelspitz, keine oder allenfalls wenig Aromen entzogen werden. Im Prinzip wird rustikales Fleisch geopfert, damit das feine Stück besser zur Wirkung kommt – freilich läßt sich das teilweise ausgelaugte Suppenfleisch zu einem leckeren Salat gebrauchen, sehr dünn in Scheiben geschnitten, mit Zwiebelscheiben belegt, mit Sherryessig, echtem Bauernkürbiskernöl, Salz und Pfeffer mariniert.



Man beginne also die Inszenierung des Tafelspitzes von etwas 2,5 bis 3 Kilogramm, indem in einem angemessen großen Topf zwei mittelgroße Zwiebel mitsamt der Schale halbiert und ohne Fett sehr dunkel angeröstet werden (fördert die gewünschte Bernsteinfarbe und Röstaromen). Mindestens ein Kilo Rindsknochen und gleich viel „Opferfleisch“ plus ein Dutzend schwarze Pfefferkörner, einige Wacholderbeeren, drei bis vier Nelken, zwei Blatt Lorbeer, etwas Liebstöckel und drei Prisen Meersalz hinzugeben, mit Wasser auffüllen – berücksichtigen, daß zum Schluß noch der Tafelspitz darin untertauchen muß – und alles eine gute halbe Stunde lang kräftig kochen lassen, den aufsteigenden Schaum abschöpfen. Letzteres entfernt die Trüb- und Bitterstoffe. Nun den Tafelspitz ins heftig brodelnde Wasser gleiten lassen und sofort die Hitze reduzieren.

Das Kochwasser sollte um die 80 Grad herum nur leise im Pianissimo wallen, und dies bis zu drei Stunden lang. Bei höherer Temperatur zieht sich das Bindegewebe zusammen und preßt Flüssigkeit heraus, was zu einer kugeligen Ausformung des an sich flachen Tafelspitzes führt und ihn leicht austrocknen läßt. Zudem haben die in kochendem Wasser aufsteigenden Bläschen die fatale Eigenschaft, das Fleisch anzugreifen und daraus winzige Stücke zu reißen. Ungefähr eine Stunde vor Ende der Garzeit das grob gestückelte Wurzelwerk (ca. 500 Gramm geschälte Sellerieknolle, etwas Lauch, Möhren, Petersilienwurzel) hinzufügen – nicht früher, sonst wird der Sud zu gemüsig und süßlich. Nach Ende der Garzeit den Tafelspitz noch eine Viertelstunde in der Brühe ruhen lassen, dann heraus nehmen, quer zur Faser in fingerdicke Scheiben schneiden und in vorgewärmten Tellern auftragen (Tante Therese pflegte je nach Stimmung den solcherart klassisch zubereiteten Tafelspitz vor dem Anrichten noch kurz in den Grill zu legen, um ihn röstaromatisch etwas anzureichern).

Die schönste Ode an den „Spitz“ schrieb übrigens Joseph Roth im Radetzkymarsch, dem Roman über den Untergang der Monarchie am Beispiel des kaisertreuen Familiengeschlechts derer von Trotta. Der Tafelspitz ist mürb, aber er zerfällt nicht. Das Tafelservice ist edel, doch seine schmalen blau-goldenen Streifen verblassen. Selbst den kleinsten Dingen kommt höchster Symbolwert zu. An allem und jedem wird es fühlbar – eine alte, vertraute Welt verabschiedet sich, leise, aber edel: "Das Auge des Bezirkshauptmannes liebkoste zuerst den zarten Speckrand, der das kolossale Stück Fleisch umsäumte, dann die einzelnen Tellerchen, auf denen die Gemüse gebettet waren, die violett schimmernden Rüben, den sattgrünen ernsten Spinat, den fröhlich hellen Salat, das herbe Weiß des Meerrettichs, das tadellose Oval der jungen Kartoffeln, die in schmelzender Butter schwammen und an zierliche Spielzeuge erinnerten...sein Schönheitssinn verzehrte vor allem den Gehalt der Speisen, gewissermaßen ihr Seelisches.“

Damals konnte man von den Dichtern auch kulinarisch noch was lernen

Guten Appetit
Danke von