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Alt  03.07.2016, 17:02   # 133
kuching
Immer auf der Jagd
 
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kuching ist offline
Anscheinend sind wir auch Weltmeister im Meckern...

...anders ist es für mich nicht zu erklären, was zum Teil in den Sendungen, Foren und Kommentarseiten so abgeht nach dem Erreichen des Halbfinals bei der EM. Keiner verlangt ja, dass nun alle zu Jüngern des Löw werden. Fakt ist aber, dass er - als erster Bundestrainer - seine Elf zu einem Sieg über Italien bei einer WM/EM geführt hat. Wie wir alle wissen, haben die deutschen Teams gegen Italien immer Schwierigkeiten. Für uns ist das der unangenehmste Gegner und wenn ich mich nicht völlig irre, wird das auch so bleiben.

Da faselt die Trainerlegende Mehmet Scholl was von "Siegenthaler", andere äußern sich in der Art "ohne Not in Schwierigkeiten gebracht" und wir "dürfen (!!!) uns nicht nach dem Gegner richten" und bei der WM 2014 haben "wir in der KO-Runde immer das gleiche System gespielt". Alles schön und gut. Nur, die WM war vor 2 Jahren und die EM ist daher ein völlig anderes Turnier mit anderen Gegnern an anderen Orten. Kommt ja auch keiner auf die Idee, wieder so wie 1990 zu spielen.

Die Idee war doch, angesichts der beiden starken Stürmer der Italiener die Mitte dicht zu machen. Das ist mit der Dreierkette gelungen. Die Deutschen sind in Führung gegangen und hätte es den Blackout von Boateng nicht gegeben, wäre uns sehr wahrscheinlich auch die Verlängerung erspart geblieben. Es gab keine wirklichen Anzeichen dafür, dass Italien (in ihrer deutlich schwächeren HZ II) noch ein Tor gelingen könnte. Da haben die Italiener Glück gehabt und wir wiederum mehr Glück im Elferschießen.

Keiner kann endgültig beweisen, ob es mit der Dreier- oder der Viererkette besser gelaufen ist oder gelaufen wäre und deswegen kann man darüber auch immer so schön diskutieren und das ist ja auch gut so. Allerdings könnte man bei den Diskussionen jetzt meinen, wir wären auf blamable Weise ausgeschieden. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Sicher, es war kein „schönes“ Spiel. Hat das wirklich jemand ernsthaft erwartet, so ein 2. Halbfinale von Brasilien? Es war eine taktische Schlacht auf Augenhöhe und die Italiener wurden mit ihren eigenen Waffen geschlagen: hinten dicht machen und vorne muss halt einer reingehen. Das dafür erforderliche Pressing wurde imho bestens durchgeführt. Nein, es war nicht das beste Spiel der Deutschen und dennoch werden (sehr wahrscheinlich) die Franzosen sich nicht auf Deutschland freuen.

Wer sich gerne mit ein bisschen Taktik beschäftigen mag, dem sei der Artikel zu dem gestrigen Spiel auf -spielverlagerung.de- empfohlen. Der gesamte Artikel steht hier:

https://spielverlagerung.de/2016/07/0...-mit-kontrast/

Das Fazit (für die Lesefaulen ) kopiere ich hier mal hinein:

Fazit

Ein aufreibendes Duell mit Italien sah zwei Kontraste aus deutscher Sicht. Zum einen: Joachim Löw wählte von der Grundidee eigentlich eine sehr passende Umstellung, indem er Höwedes als zusätzlichen Verteidiger brachte. Gerade die defensiven Vorteile machten sich gegen Italiens Spielweise mit direkten Stürmerablagen und aggressiver Breite bezahlt. Eine Dreierkette bietet aber auch viel Potential, um aus den Halbräumen diagonal zu eröffnen – und in die bisher so stabile Italien-Defensive einzudringen. Genau das gelang mit den breitgehenden Rollen von Schweinsteiger und Özil aber überhaupt nicht. Die Halbverteidiger konnten sich nur bedingt einschalten, die Verbindungen durch das Mittelfeld hindurch fehlten und die Einbindung der Stürmer in Strafraum wurde entsprechend instabil. Eine problematische Interpretation führte trotz guter Maßnahme zu Chancenarmut.

Zum anderen unterschieden sich die erste und die zweite Halbzeit stark voneinander: Die Anpassungen nach dem Seitenwechsel waren sehr präzise. Schweinsteiger agierte in allen Spielphasen enger und konnte nun eine herausragende Leistung abliefern, der Halbraumtausch mit Özil war wirksam und führte auch zu besserem Zusammenspiel mit Müller, schließlich wurden die Mannorientierungen zurückgefahren. So war Deutschland das bessere Team in Halbzeit zwei, sah zwischenzeitlich bereits wie der Sieger aus und es brauchte auch wirklich jenen seltsamen Elfmeter für ein italienisches Comeback. Das Team von Antonio Conte blieb aber immer ein unangenehmer und im Grundsatz stabiler Gegner, der immer irgendwie noch im Spiel war.

Insgesamt sah man in dieser Partie den Wert Schweinsteigers, speziell seines Rhythmusgefühls und seines Bewegungsspiel. Selbst in der mannorientierten Spielweise des ersten Durchgangs balancierte er sich selbst gut, später konnte er immer besser großräumige Szenen umfassend kontrollieren. Seine defensive Positionsfindung bedacht im Raum und seine zwischen klein- wie großräumigen Momenten wechselnde Rollenvielfalt bei Ballbesitz waren in Halbzeit zwei brillant: Kroosbefreier, optionaler Taktgeber, punktuell offensiver Verbindungsgeber und Strafraumläufer. Wie der Kapitän für die folgenden Partien eingeplant ist, gehört nun umso mehr zu den interessantesten Fragen. Gleiches gilt für die weitere Verwendung möglicher Dreierkettenvarianten.
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