Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt  28.12.2017, 11:50   # 79
kuching
Immer auf der Jagd
 
Benutzerbild von kuching
 
Mitglied seit 25.09.2006

Beiträge: 4.700


kuching ist offline
BABYLON BERLIN (1+2) – Tom Tykwer, Henk Handloetgen, Achim von Borries

  FOTO anklicken und größer / schärfer machen  
Bild größer / schärfer machen. Bild größer / schärfer machen. Bild größer / schärfer machen. Bild größer / schärfer machen. Bild größer / schärfer machen.

Vorbemerkung

Lange, sehr lange hat es nun gedauert, von der Bekanntmachung des Projekts bis zur Realisierung der Serie „Babylon Berlin“: vier Jahre und ein endgültiges Scheitern war nicht ausgeschlossen bis es dann zur ersten Zusammenarbeit eines Privatsenders (Sky) und eines ÖR-Senders (ARD) kam. Die teuerste, die aufwändigste, die glamouröseste deutsche Serie, hieß es. Fast 40 Mio. Produktionskosten (davon 16 Mio. – 8.000 qm - allein für den Nachbau von Berliner Straßen in Babelsberg), 5.000 Komparsen, knapp 300 Drehorte. Für eine deutsche Serie tatsächlich alles Superlative. Verkauft wurde die Serie in 60 Länder (darunter Europa und Nord-Amerika), eine Premiere in L.A. (der Partnerstadt von Berlin) wurde sehr wohlwollend aufgenommen…“awesome stuff“…

Aber nicht nur in Babelsberg wurde gedreht, andere Drehorte wie Museumsinsel, Friedrichstraße, Grunewald usw. sind original, teilweise aber natürlich digital nachbearbeitet um eine gewisse „Tiefe“ zu erlangen. Eine große Riege sehr guter und bekannter deutscher Schauspieler sind dabei: Matthias Brandt, Peter Kurth, Udo Samel, Benno Führmann, Thomas Thieme, Günter Lamprecht, Lars Eidinger, Hannah Herzsprung, Mišel Matičević…. Die Hauptrollen werden aber von nicht sooo bekannten Schauspielern verkörpert: Volker Bruch („Unsere Väter, unsere Mütter“) als Kommissar Gereon Rath und Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter („Und morgen Mittag bin ich tot“). Eine sehr gute Idee bei den Hauptdarstellern auf „unverbrauchte“ Gesichter zu setzen, vor allem Liv Lisa Fries ist einfach nur umwerfend, manchmal feenhaft, dann wieder schnoddrig, schlagfertig.

„Babylon Berlin“ ist eine Adaption der Bücher von Volker Kutscher (hier „Der nasse Fisch“), also eine recht freie Verwertung der Geschichten um Gereon Rath, dem Kommissar im Berlin der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Wenige Filme und noch weniger Serien haben wir hier in Deutschland aus dieser Zeit, die dunkle Zeit des 3. Reichs ist überbordend vertreten.

Von daher ist es sehr reizvoll nun auf diese Zeit zu blicken und hier ins Jahr 1929: „schwarzer Donnerstag“ am 24.10.29 an der Wall Street, Beginn der Weltwirtschaftskrise (in Deutschland am 25.10.29, dem „schwarzen Freitag“), Nobelpreis für Thomas Mann, „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin erscheint, das Stummfilmkino „Bayblon“ (!) öffnet in Berlin, „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque erscheint und Emil Jannings erhält den ersten Oscar überhaupt als männlicher Hauptdarsteller, die Mai-Unruhen („Blut-Mai“) fordern 33 Tote (in der Serie ist von 200 die Rede, ansonsten aber schon richtig dargestellt, da der einzige Polizist mit Schussverletzung diese sich selbst zufügte).

Staffel 1 und 2 umfassen insgesamt 16 Folgen à 45 Minuten, die ARD wird beide Staffeln Ende 2018 zeigen, Staffel 3 und 4 sind schon bestellt…bedeutet, die beiden ersten Staffeln sind jetzt schon refinanziert.



Die Handlung

Gereon Rath, ein Kölner Kommissar, lässt sich zur Sitte nach Berlin versetzen. Ein Verwandter von ihm wird mit pornographischem Material erpresst, die Drahtzieher werden in der Berliner Unterweltszene vermutet. Der erpresste Verwandte ist der OB von Köln, Konrad Adenauer(!). Die Geschichte ist natürlich erfunden…. Gereon Rath soll die Hintermänner der Erpressung überführen. Er leidet unter dem „Kriegszittern“ (Shell Shock) und ist morphiumabhängig. Ihm zur Seite steht Bruno Wolter (Peter Kurth), ein Berliner Kommissar, eine schillernde Figur und wie sich herausstellen soll, der „bad cop“.

Charlotte Ritter ist eine junge Frau, die sich tagsüber als Tagelöhnerin – hier im Polizeipräsidium, der „Roten Burg“ – verdingt und nachts als Prostituierte im „Moka Efti“, dem „Berghain“ der zwanziger Jahre, arbeitet. Sie ist der eigentliche Star der Serie und mit weiblichen Hauptrollen hat Tom Tykwer („Lola rennt“) ja Erfahrung. Sie ist die Überlebenskünstlerin zwischen Mietskaserne, Bordell und den Fängen der Mafia. Für mich DIE Entdeckung….

Und dann gibt es noch einen geheimnisvollen Zug aus Russland der nach Berlin kommt. Alle Waggons beinhalten verbotenes Giftgas, einer aber enthält einen geheimnisvollen Goldschatz. Jagd auf diesen Goldschatz machen sowohl Stalin als auch die in Berlin lebenden Trotzkisten (Leo Trotzki, russischer Revolutionär, war nach dem Zerwürfnis mit Stalin 1929 im Exil in der Türkei) und natürlich ebenso die Berliner Mafia.

Die Krimihandlung(en) nehmen – Gott sei Dank - keinen allzu großen Raum ein, vielmehr bilden sie das Skelett für ein Sitten- und Gesellschaftsbild zu dieser Zeit. Auch die „Braunhemden“ sieht man kaum, nur zum Schluss tauchen sie auf, obwohl sie in dieser Zeit allgemein schon präsenter waren.

Der Plot ist imho fast vernachlässigbar, das Besondere, das Einzigartige an dieser deutschen Serie ist der Look, die Atmosphäre, das Setting, sei es nun das Mondäne im Moka Efti oder die Hinterhöfe in Kreuzberg oder im Wedding, wo die Armen zusammengepfercht vor sich hin hausen. Auch trotz der fehlenden Braunhemden sieht man, spürt man die aufkommende und nahestehende dunkle Zeit, die das zarte „Demokratiepflänzchen“ der Weimarer Republik hinwegfegen wird. Die „Schwarze Reichswehr“, Versailler Vertrag, die Kriegstraumata des WK I. Allein die „Auflösung“ der Eingangssequenz der Serie zum Schluss der Staffel 2 hin ist grandios gelungen.

Ich kam zunächst nicht so ganz leicht in die Serie, der Flow wollte sich zu Beginn (noch) nicht einstellen. Spätestens aber zum Schluss der 1. Doppelfolge mit dem Auftritt von Swetlana Sorokina (Severija Janušauskaitė) als Sänger/in Nikoros im „Moka Efti“ mit dem Song „Zu Asche, zu Staub“, der weiteren Tanz- und Musiksequenz, geschnitten mit einer deftigen Schießerei und wieder geschnitten mit einer kleinen Sexszene zwischen Charlotte und einem Kunden im Separee des Moka Efti, da war der Flow dann da. Das war packend umgesetzt…Martin Scorsese würde wohlwollend nicken…

Ab da habe ich zunächst 8 Folgen am Stück und die restlichen 5 dann auch in einem Rutsch gesehen. Die Musikauswahl traf übrigens Bryan Ferry (Roxy Music) der auch einen Gastauftritt als Sänger hat.

Hier der Song

https://www.youtube.com/watch?v=fSH4JvyCIYQ

Aber, es gibt auch Schwächen…

Insgesamt sind es wohl an die 300 (!) Sprechrollen (zu viele wie ich finde), manche Szenen, manche Nebenstränge verlaufen leider im Nichts oder werden zum Schluss der der 2. Staffel etwas arg hoppladihopp „aufgelöst“: zack, zack, zack… Die Zugsequenz zum Schluss wirkt billig, manche Charaktere haben keine Zeit, keinen Raum sich zu entwickeln und manches wirkt auch etwas holzschnittartig. Hier wäre etwas weniger doch mehr gewesen und manches ist auch nicht so glaubwürdig aufgelöst.

Die Kritik zur Serie

Es lassen sich im Netz viele Artikel zur Serie finden. Die Bewertung reicht von „grandios“ bis „Reinfall“ (überwiegend aber positiv). Meinem Empfinden zur Serie am nächsten kommt DIE ZEIT

https://www.zeit.de/kultur/film/2017-...omplettansicht

Vorgeworfen wird der Serie vor allem, dass bei aller Eleganz die emotionale Tiefe fehle, also alles hübsch fotografiert, aber seelenlos. Nun ja, da möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden.

Zum regelrechten „Fremdschämen“ sind allerdings so einige User-Kommentare unter den Artikeln: „Beckenrandschwimmen“…“zu deutsch“ (der Vorwurf der großen Streamingdienste an Deutschland war genau andersherum: zu wenig deutsch um eine USP zu haben!)…“kann mit den großen amerikanischen Serien nicht mithalten“ (ja, das können die allermeisten anderen Ami-Produktionen auch nicht!)…

Mein Fazit:

Mit „Babylon Berlin“ ist eine großartig verfilmte und die Atmosphäre der Zeit bestens einfangende Serie entstanden. Damit wird (noch) nicht das Serienmonopol der Skandinavier und Amerikaner gebrochen, aber Respekt haben sie damit geschaffen und das ist aller Ehren wert.

An Ende 2018 im Free TV bei der ARD. Solltet ihr nicht verpassen….

https://www.youtube.com/watch?v=uekZpkYf7-E

https://www.youtube.com/watch?v=cvQrM8I8hVI

https://www.youtube.com/watch?v=SmjuMOookl4
Antwort erstellen         
Danke von